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CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martyn Bedford
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Welt versunken, einfach weitergegangen.

17
     
    Um die Mittagszeit schickte man ihn nach Hause. Inzwischen hatten sich seine Kopfschmerzen dermaßen verschlimmert, dass er keine Einwände erhob. Als er die Haustür aufschloss, genügte Flips Mutter ein forschender Blick, und sie packte ihn sofort ins Bett.
    »Wie viel hast du gestern eigentlich getrunken, Philip?«
    »Daran liegt’s nicht.«
    Sie machte ein skeptisches Gesicht. Aber am nächsten Morgen war klar, dass er krank war. Halsweh, Gliederschmerzen, ein bellender Husten, Fieber, die ganze Palette. Und immer noch scheußliche Kopfschmerzen. Die geringste Bewegung verursachte ein schmerzhaftes Stechen in seinem Schädel, das ihn keuchend nach Luft ringen ließ. Dem Arzt zufolge, der ihn zu Hause untersuchte, war es Grippe oder irgendein anderer Virus. Eine leichte Blutarmut kam womöglich dazu, was Alex sofort an den Albtraum mit den Mäusen denken ließ, die an seinen Eingeweiden nagten. Der Arzt hinterließ ein Rezept und sagte irgendwas von Ruhe, viel Trinken und so weiter,
aber tut mir leid, mein Junge, da musst du jetzt einfach durch.
    Von Montagnachmittag bis Freitagvormittag verließAlex sein Bett bis auf gelegentliche schlurfende Ausflüge ins Bad nicht mehr. Stunde um Stunde, Tag um Tag schlief oder döste er oder lag einfach nur so da   – erschöpft, zu krank zum Lesen, zum Musikhören, zum Reden oder auch nur zum Sitzen. Auf seinem Handy summten die eingehenden Nachrichten, aber er hatte nicht die Kraft, die Hand danach auszustrecken, wobei er sich ohnehin nicht darauf hätte konzentrieren können, die richtigen Tasten zu drücken, um die Nachrichten zu lesen. Er schaffte es gerade eben, das Wasser oder die selbst gekochte Hühnerbrühe zu trinken, die ihm Flips Mum ans Bett brachte.
    Alex kam sich vor wie ein alter Mann. Wie ein todkranker Greis.
    Wenn er sich vorstellte, dass er noch letzten Sonntag so gut drauf gewesen war! Der Ausflug ans Meer war eine Offenbarung gewesen: so viel Kraft und Selbstvertrauen, das Gefühl, attraktiv zu sein, im wahrsten Sinne des Wortes die Muskeln spielen zu lassen   … er hatte sich unglaublich wohlgefühlt. Rob hatte Alex gezeigt   – beziehungsweise ihm geholfen, es selbst zu erkennen   –, dass er, wenn er schon nicht Flip werden, so doch wenigstens dessen Möglichkeiten voll ausschöpfen konnte, als wären er und Flip eins. Oder wie es sein neuer Freund ausgedrückt hatte:
Du bist so beschäftigt damit, dich in Flips Körper zu amüsieren, dass du ganz vergisst, dass es nicht dein eigener ist.
    Momentan fühlte er sich in Flips Körper jedenfalls überhaupt nicht wohl. Scarborough. Dieser eine Tag ausgelassenerFlip-haftigkeit, wie er es nannte, verschwand unter den Trümmern dessen, was darauf gefolgt war. Der Albtraum, die Ohnmacht, die Krankheit. Es war wie bei den Flugversuchen der ersten Flugpioniere, als hätte er sich für ein paar beglückende, aufregende Flügelschläge in die Luft erhoben   … und dann eine ernüchternde Bruchlandung hingelegt.
    Dazu kam eine total miese, total niedergeschlagene Stimmung. Schlimmer als an dem Tag, an dem er nach der Schlappe in London wieder nach Litchbury zurückgebracht worden war. Natürlich wurde man es irgendwann leid, wenn man tagelang krank im Bett lag, das war ihm schon klar; sein Zustand war jedoch ziemlich dicht an dem, was sich Alex unter einer Depression vorstellte. Einer ausgewachsenen Depression. Am schlimmsten war die Vision oder Halluzination oder der Traum oder was es auch gewesen sein mochte, was ihn heimgesucht hatte, als er bewusstlos vor Mr McQueens Füßen gelegen hatte   – und ihn seither immer wieder heimsuchte.
    Das Bild von Mum an seinem Krankenhausbett.
    Ich hab meine Lektion gelernt,
schrieb er in einer SMS an Rob, als er sich endlich in dem müffelnden Bettzeug aufsetzte, um seinem Freund zu erklären, warum er die letzten Tage völlig vom Radar verschwunden war.
    Was denn für ’ne Lektion?
    Ich bin nicht Flip. Ich darf nicht versuchen, Flip zu sein.
    Nicht einmal eine Flip-Alex-Mischung wie dieser derselbe-aber-doch-andere-Fluss, von dem Rob gesprochen hatte. »Ich-heit«, nannten es die PEs. Ihrer Meinungnach musste sich ein Evakuierter von herkömmlichen Vorstellungen wie einem feststehenden »Selbst«   – soll heißen:
mein
Geist in
meinem
Körper   – verabschieden und sich stattdessen an ein »Ich« halten, das an keinen Körper gebunden war. Das sozusagen transformiert in dem neuen Wirtskörper weiterlebte.

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