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Crash

Crash

Titel: Crash Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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mir richtig vorstellen, wie ihre großen Titten am Armaturenbrett plattgedrückt werden.«
    Vaughan wandte sich abrupt ab, als hätte er plötzlich Angst, Seagrave könnte ihm die Schau stehlen. Die Narben um seinen Mund und auf der Stirn entstellten sein Gesicht über gewöhnliche Gefühlsausdrücke hinaus. Er sah zum anderen Sofa, wo der Fernsehproduzent und die verkrüppelte junge Frau, Gabrielle, eine Zigarette hin und her reichten.
    Ich wandte mich um, da ich im Wagen auf Helen warten wollte. Vaughan folgte mir durch die Tür. Er umklammerte meinen Arm mit festem Griff.
    »Gehcn Sie noch nicht, Ballard. Ich möchte, daß Sie mir helfen.«
    Während ich die Szene noch beobachtete, beschlich mich plötzlich das Gefühl, daß Vaughan uns alle kontrollierte, indem er jedem von uns gab, was er am meisten brauchte und auch am meisten fürchtete.

    Ich folgte ihm den Flur hinab in ein Fotolabor. Er führte mich ins Zentrum des Raumes und schloß die Tür.
    »Dies hier ist das neue Projekt, Ballard.« Er winkte einmal durch den Raum. »Ich bin gerade dabei, eine ganz spezielle Fernsehserie zusammenzustellen.«
    »Haben Sie die N. C. L. verlassen?«
    »Selbstverständlich - dieses Projekt ist zu wichtig.«
    Er schüttelte den Kopf, um eventuelle Assoziationen zu verdrängen. »Nicht einmal ein großes Regierungsbüro ist ausgerüstet, um so etwas durchzuführen - psychologisch und auch anders.«
    Hunderte von Fotografien waren an die Wände geklebt oder lagen auf den Bänken. Der Boden um den Vergrößerungsapparat herum war mit Ausschnittvergrößerungen übersät, die entwickelt und dann achtlos beiseite geworfen worden waren, wenn sie nicht den Vorstellungen ihres Schöpfers entsprochen hatten. Während Vaughan um den Tisch hastete und die Seiten eines in Leder gebundenen Buches aufschlug, betrachtete ich die Fotografien zu meinen Füßen. Zumeist handelte es sich um Amateurfotografien von Frontalzusammenstößen von Autos und Lastkraftwagen, die von Schaulustigen und Polizisten umgeben waren, um Nahaufnahmen eingedrückter Kühler und zersplitterter Windschutzscheiben. Viele waren mit unsicherer Hand aus einem fahrenden Wagen heraus aufgenommen worden und zeigten die verwackelten Bilder von Polizisten und Notärzten, die dem vorbeifahrenden Fotografen manchmal wütend mit der Faust drohten.
    Beim ersten Hinsehen war keine erkennbare Gestalt auf den Bildern zu sehen, doch an einer Wand, neben einem großen Spülstein aus Metall, waren die vergrößerten Bilder von sechs Frauen in mittleren Jahren aufgehängt. Ich war von der maßlosen Ähnlichkeit mit Vera Seagrave verblüfft. So etwa konnte die Frau in zwanzig Jahren aussehen. Die Bilder zeigten, wie ich vermutete, wohlbegüterte Frauen erfolgreicher Geschäftsmänner mit Pelzstolas um den Nacken, aber auch wechseljährige Supermarktkassiererinnen und eine übergewichtige Platzanweiserin in einer verbrämten Gabardineuniform. Anders als der Rest auf dem Boden, waren diese Fotos mit großer Sorgfalt aufgenommen worden - mit einem Teleobjektiv, das durch Windschutzscheiben und durch Drehtüren spioniert hatte.
    Vaughan öffnete das Album wahllos und reichte es mir. Dann lehnte er sich an die Tür zurück und beobachtete mich, während ich die Schreibtischlampe zurechtrückte.
    Die ersten dreißig Seiten berichteten vom Unfall, vom Krankenhausaufenthalt und von einer Romanze während der Genesungszeit der jungen Sozialarbeiterin Gabrielle, die derzeit draußen auf dem Sofa saß und Zigaretten drehte, die alle rauchten. Zufällig war ihr kleiner Sportwagen mit einem Flughafenbus zusammengestoßen, gar nicht weit von der Stelle meines Unfalls entfernt und kurz vor einer Unterführung. Ihr scharfgeschnittenes Gesicht, dessen Haut bereits wie das erste Anzeichen eines Erdrutsches abzusacken begann, lag auf dem ölverschmierten Sitz. Eine Gruppe Polizisten, Ärzte und Zuschauer hatte sich um das Auto angesammelt. Im Vordergrund der ersten Fotografie machte sich ein Feuerwehrmann mit Schneidbrenner an der rechten Strebe der Windschutzscheibeneinfassung zu schaffen. Die Verletzungen der jungen Frau waren noch nicht zu erkennen. Ihr ausdrucksloses Gesicht betrachtete den aufrecht stehenden Feuerwehrmann mit dem Schneidbrenner, als würde sie jeden Augenblick mit einem bizarren sexuellen Angriff rechnen. Auf späteren Fotos kamen die Blutergüsse langsam zum Vorschein, die ihr Gesicht wie eine allmählich Form annehmende zweite Persönlichkeit überzogen, eine Vorschau auf das

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