Crashkurs
Lärmschutzfenster der Bürger. Alternativgrundstücke werden angeboten. Zwei Jahre später: drei Bürger noch immer dagegen. Mehrere Klagen abgewiesen. Baubeginn. Bund für Umwelt und Naturschutz findet eine seltene Krötenart im Plangebiet. Baustopp. Und so weiter, und so weiter…
China: Ein neuer Flughafen? Bauen wir!
Es spielt keine Rolle, ob kurzfristig irgendwelche Wählerinteressen berücksichtigt werden müssen. Es geht nur darum, was den Staat in den nächsten Jahren voranbringt. Einem europäischen Wähler kann ich das so nicht verkaufen: »Wir müssen das jetzt tun. Das ist für dich in den nächsten fünf Jahren zwar eine mittlere Katastrophe, aber für das Gemeinwohl wird das in zehn Jahren eine tolle Sache sein.« Das interessiert den Wähler in Wanne-Eickel einen feuchten Kehricht. Der will jetzt seinen Spaß und sein angenehmes Leben. Was interessiert es ihn, ob der Staat dadurch in zehn Jahren einen Vorteil hat? Und schon haben die Randparteien einen Wähler mehr. Die Politiker müssen darauf natürlich Rücksicht nehmen, wenn sie die nächste Wahl gewinnen wollen. Oder kennen Sie einen Politiker, der gesagt hätte: »Ich setze das jetzt durch. Verlier ich halt mein Bundestagsmandat, aber dafür hat der Staat später mal einen Vorteil.«? Da muss man in den Bundestagsprotokollen wahrscheinlich ziemlich weit zurückblättern.
Ich will keineswegs unser demokratisches System in Frage stellen! Nicht, dass mir ein Sondereinsatzkommando die Tür eintritt. Ich möchte nur aufzeigen, dass es da im Osten plötzlich ein Regierungssystem gibt, das in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung ungeheure Vorteile gegenüber unserem parlamentarischen System hat. In Bezug auf die Menschenrechte und die Grundrechte unserer Verfassung kann man das nicht sagen.
Selbst die vielen Arbeitslosen, Armen und Wanderarbeiter sind im chinesischen System ein großer Vorteil. Die europäischen Arbeiter, die aus der Arbeitswelt herausfallen und ins soziale Netz purzeln, werden mehr und mehr zur Belastung der ganzen Volkswirtschaft. Die Sozialabgaben werden dadurch höher, der Staat muss immer mehr Geld für Transferleistungen ausgeben. Geld, das er eigentlich für das Vorantreiben des Staates und der Wirtschaft bräuchte. In China sieht das ganz anders aus. Die Absicherung geschieht hier weitestgehend durch die Familie. Der Staat hält sich da raus. Jeder muss sehen, wie er klarkommt. Und wenn er nicht klarkommt, ist das sein Problem. So brutal diese Form des reinen Kapitalismus ist, so erschreckend erfolgreich sind die Konsequenzen für das System: Diese Arbeitslosen und Armen tun alles , um in den Arbeitsmarkt zu drängen. Sie akzeptieren die niedrigsten Löhne, die härtesten Arbeitsbedingungen und sind zu jeder Leistung bereit, die sie in der Lage sind zu bringen. Der festangestellte Arbeiter wird ständig von Wanderarbeitern bedroht. Jederzeit kann es passieren, dass ein billigerer Wanderarbeiter ihm seinen Job wegnimmt. Also arbeitet er besonders hart und versucht durch Weiterbildung eine Stufe höher zu steigen. In der Hoffnung, seinen Arbeitsplatz somit sicherer zu haben. Der über ihm stehende Facharbeiter wird dadurch wiederum bedrängt und bemüht sich seinerseits bis zum Äußersten. Der Staat fördert dieses Konkurrenzsystem, indem er einerseits die staatlichen Hilfen gerade auf das Niveau beschränkt, das Aufstände in der Bevölkerung verhindert, andererseits ein unglaubliches Bildungs- und Weiterbildungsangebot bereitstellt.
Solange es also eine große Schar Arbeitsloser und Mittelloser gibt, so lange wird die Leistungsbereitschaft aller Bürger auf Höchsttouren laufen. Dieses maximalkapitalistische System ohne Kündigungsschutz ermöglicht es, jederzeit Arbeiter gegeneinander auszutauschen. Keiner kann sich seines Jobs sicher sein. Unsere soziale Marktwirtschaft führt zu einem eklatanten Nachteil des Systems, denn der Arbeiter kann nicht so einfach gegen einen billigeren ausgetauscht werden. Er muss auch nicht fürchten, die Nächte künftig im Wald verbringen zu müssen, wenn er seinen Job dennoch verliert.
Das ist gut so! Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dort ein System existiert, welches uns auf unserem eigenen Spielfeld – dem Kapitalismus – überlegen ist und uns rechts überholt.
Die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis sind erschreckend: Wir werden von diesem »Partner« keinerlei Rücksichtnahme oder gar Solidarität erwarten können. Der chinesische Drache frisst Kreide,
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