Crashkurs
und Patente, die unsere klügsten Köpfe über Jahrzehnte in aufwendigen und sündhaft teuren Forschungsreihen erarbeitet haben, werden im Rahmen von Joint Ventures nach Asien verschleudert. China brauchte bloß zur Bedingung machen: »Ihr dürft hier nur produzieren und verkaufen, wenn ihr euch einen chinesischen Partner sucht und mit ihm euer Wissen teilt.« Kaum war das Wissen geteilt, haben die chinesischen Partner sich verselbständigt, oder eine befreundete Firma hat nach den gleichen Bauplänen, aber zum halben Preis gefertigt. Die deutschen Manager schimpften über die Ungerechtigkeit der Welt, und die chinesischen Partner verstehen bis heute nicht, warum die Europäer sich darüber aufregen.
Es ist schlichtweg eine andere Philosophie, die in China herrscht. Für einen Chinesen ist »List« kein schlimmes Wort. List und Übervorteilung sind Teil des gesellschaftlichen Selbstverständnisses. Das Anwenden und Durchschauen von List wird in China durch alle Klassen hindurch hoch geachtet und gepflegt. Schon die Kleinsten lernen in der Schule die 36 Strategeme. Das sind kleine Taktiken, die auf ein uraltes Kriegsstrategiehandbuch aus dem 5. Jahrhundert zurückgehen. Die Strategeme haben so blumige Namen wie: »Den Kaiser täuschen und das Meer überqueren«, »Den Tiger vom Berg in die Ebene locken« oder »Mit dem Messer eines anderen töten«. Hinter jeder dieser einprägsamen Bezeichnungen steht eine Methode, seinen Kontrahenten hinters Licht zu führen. Im ersten Beispiel ist gemeint, dass man den Kaiser in ein Haus am Fluss einladen soll, das in Wirklichkeit auf einem Boot steht. Während der Kaiser im Haus ist, rudert man das Boot heimlich ans andere Ufer und hat ihn auf Feindesland festgesetzt.
Jetzt verstehen Sie, warum die Chinesen kein Unrechtsbewusstsein haben, wenn sie Siemens austricksen, um sich die Pläne für den Transrapid unter den Nagel zu reißen. Sie sehen das keineswegs als verwerflich an. Im Gegenteil. Ein solches cleveres Vorgehen verdient in China größte Hochachtung. Die Chinesen lachen sich kaputt über die Naivität der Westler. Diese Einfaltspinsel fallen tatsächlich noch auf jede List herein! Und wir entrüsten uns und können nicht verstehen, dass unser westlicher Ehrenkodex, unser Geschäftsgebaren oder wie auch immer man es nennen will, nicht für alle Völker dieser Erde gilt. Da ist sie wieder, diese unglaubliche Arroganz, anzunehmen, dass unser Wertesystem und unsere Weisheit für alle Menschen dieser Erde Gültigkeit haben müssten. Diese Arroganz wird uns zum Verhängnis.
Ein erfahrener Geschäftsmann, der viele Jahre mit China Geschäfte gemacht hat, erzählte mir: »Wenn der gerissenste unserer deutschen Manager in China das Geschäft seines Lebens abgeschlossen hat, kann er davon ausgehen, dass sein chinesischer Partner den doppelten Vorteil hatte.« Und weiter: »Für einen Chinesen ist Blut immer dicker als Tinte. Er wird immer einen chinesischen Geschäftspartner vorziehen. Wenn eine Langnase (Europäer) das chinesische Reich vor dem Untergang bewahren würde, wäre er noch immer niedriger als der geringste Chinese.«
Das mag alles ein wenig überzeichnet sein, dennoch verdeutlicht es, dass wir es mit einem Gegner zu tun haben, dem wir offenkundig nicht gewachsen sind. In China wächst eine Form des Kapitalismus heran, die in dieser Brutalität und Rücksichtslosigkeit noch in keinem westlichen Staat je ausprobiert wurde. Die chinesischen Kommunisten sind längst keine ideologischen Betonköpfe mehr, wie wir sie noch aus der Breschnew-Zeit Russlands vor Augen haben. Die meisten chinesischen Politiker sind Ingenieure oder Naturwissenschaftler, und vor allem sind sie eins: pragmatisch. Es werden die Entscheidungen getroffen und umgesetzt, die den maximalen Erfolg versprechen. Darin unterscheidet sich das totalitäre chinesische System ganz wesentlich von unseren demokratischen Strukturen und zeigt dabei erschreckende Vorteile. Da die chinesischen Politiker nicht ständig auf die nächste Wahl schielen müssen, können sie auch kurzfristig unpopuläre Maßnahmen problemlos durchsetzen. Sie können bei ihren Entscheidungen den Blick viel weiter nach vorne richten. Ein Beispiel:
Deutschland: Eine neue Landebahn für den Flughafen? Antragstellung. Bürgerbegehren. Lärmschutzanalysen. Stopp der Entscheidung wegen anstehender Landtagswahl, man will die Wähler ja nicht gegen sich aufbringen. Nach der Landtagswahl: Nächste Gesprächsrunden. Millionenzusagen für neue
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