Crazy Moon
die Feuerleiter zu dem flachen Dach hinauf, das wegen der Hitze klebte und nach Teer roch. Um uns herum herrschte Dunkelheit, nur wenige Gebäude waren erleuchtet. Ich konnte den Supermarkt erkennen, die |69| Brücke zum Festland und den einzelnen Laserstrahl, den der größte Autohändler von Colby zu Werbezwecken bei seinem Geschäft installiert hatte.
»Siehst du das? Dort drüben?« Morgan wies über die Baumwipfel hinweg auf einen hellen Fleck, den ich, wenn ich mich dicht an den Rand des Daches stellte, gerade eben sehen konnte.
»Das ist das Maverick-Stadion. Mark hat dort Baseball gespielt.« Ich hatte das Gefühl, als würde ich Mark, Morgans Verlobten, schon längst kennen, obwohl ich ihm noch nie begegnet war, so viel hatte sie mir bereits von ihm erzählt. Dass er Boxershorts lieber mochte als normale Unterhosen. Dass er drei Kinder wollte, zwei Mädchen und einen Jungen. Dass er beim Baseball immer präziser und öfter traf und in dieser Saison schon zwei Homeruns gehabt hatte, trotz einer Verletzung am Handgelenk. Und dass er Morgan vor drei Monaten einen Heiratsantrag gemacht hatte, in seiner letzten Nacht in Colby, als sie zum Abschied im ›International House of Pancakes‹ essen gegangen waren.
»Ich vermisse ihn so.« In ihrer Geldbörse steckte ein Foto von ihm. Er sah wirklich beinahe aus wie ein Filmstar: groß, gut aussehend, dunkelhaarig. »Zum Glück dauert die Saison nur noch drei Monate.«
»Wie hast du ihn eigentlich kennen gelernt?«
Sie lächelte. »Hier, im Last Chance. Es war Dinnerzeit und die Hölle los. Er saß an der Theke und Isabel kippte aus Versehen einen Becher Kaffee über ihn.«
»Autsch!«
»Du sagst es. Sie war so verdutzt, dass sie einfach weiterging. Deshalb habe ich mich bei ihm entschuldigt, die Sauerei aufgewischt und ihm geholfen seine |70| Kleider sauber zu machen. Er sagte, es sei kein Problem, und ich lachte und meinte, dass hübsche Mädchen eben mit allem durchkämen.« Sie blickte auf ihre Hand und drehte ihren Verlobungsring so, dass der Diamant in der Mitte des Fingers saß. »Da hat er zu Isabel rübergeguckt und gelächelt und gemeint, sie sei gar nicht sein Typ.«
Aus dem Stadion hörte man gedämpft das Toben der Menge. Einmal konnte ich sogar sehen, wie ein Ball über den Zaun sauste und von der Finsternis verschluckt wurde.
»Deshalb sagte ich: Wirklich? Was ist denn dein Typ? Und er sah mir in die Augen und antwortete: Du.« Morgan grinste. »Mann, Colie, was glaubst du, wie oft ich zugeguckt habe, während die Typen, auf die ich stand, hinter Isabel her waren. Damals, in der Zehnten, war ich das ganze Schuljahr über restlos in einen verknallt, der Chris Catlock hieß. Eines Abends rief er tatsächlich an. Ich wäre beinahe
gestorben
. Aber dann . . .«
Wieder ertönte ein ferner Aufschrei aus dem Stadion und die Stimme eines Ansagers klang verzerrt aus dem Lautsprecher.
». . . fragte er mich, ob ich für ihn rausfinden könnte, ob Isabel ihn mochte.« Morgan zog die Nase kraus. »Es war furchtbar. Ich habe tagelang geheult. Deshalb ist Mark so wunderbar. Er hat sich für
mich
entschieden. Er liebt
mich
.« Selig lächelnd legte sie den Kopf in den Nacken.
Ich betrachtete ihr Profil. »Du hast echt Glück gehabt«, sagte ich.
»Du findest bestimmt auch mal jemanden.« Sie tätschelte mein Knie. »Außerdem bist du ja noch so jung.«
|71| Ich nickte und heftete meine Augen auf das Stadion in der Ferne. »Ich weiß.« Wieder beschlich mich dieses Gefühl, alles, was ich gerade erlebte, könne sich im nächsten Moment in Luft auflösen. Denn sie hatte wohl doch nur jemanden zum Reden gebraucht, egal wen.
Trotzdem – wir blieben lange dort oben auf dem Dach sitzen, Morgan und ich. Wir ließen unsere Füße über den Rand baumeln, kauten Kaugummi und lauschten dem Baseballspiel in der Ferne. Wir hörten, wie der Ball auf den Schläger krachte und pfeifend durch die Luft flog und wie die Menge applaudierte, während die Läufer ins Ziel rannten.
Ich übernahm abwechselnd die Mittags- und die Abendschicht. Mein Blue-Cheese-Dressing wurde immer besser und den Zerkleinerer beherrschte ich auch schon ziemlich perfekt. Aber es gab immer noch viel zu lernen.
»Kellnern ist wie das Leben«, lautete Morgans nächste Lektion. »Es kommt vor allem auf die Einstellung an.«
»Aha, die Einstellung.« Ich nickte.
»Deine und ihre.« Mit ausholender Geste umfasste sie beim Sprechen den ganzen Raum. »Das eine bedingt das andere und alles gleicht
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