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Crazy Moon

Crazy Moon

Titel: Crazy Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Dessen
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schmuggelte und unter meinem Bett versteckt hielt, als wäre es illegal, in Miras Haus etwas zu besitzen, das funktionierte.
    Dabei hätte sie genug Geld gehabt, um sich alles zu kaufen, was sie brauchte. Das war das Seltsamste überhaupt. Ich wusste über ihre Vermögensverhältnisse Bescheid, weil ich bei meiner Suche nach einem funktionierenden Staubsauger im Vorratsschrank über einen Stapel Kontoauszüge gestolpert war.
    Doch, einmal habe ich versucht mit Mira zu reden, und zwar an demselben Abend, an dem ich das Vorhaben, in diesem Haus je Staub zu saugen, endgültig aufgab und stattdessen zum Besen griff. Sie saß auf der hinteren Veranda und sah von dort aus fern.
    Nachdem ich mit Kehren fertig war, verstaute ich den Besen wieder im Schrank und ging ins Wohnzimmer. »Warum sind eigentlich sämtliche Staubsauger kaputt, Mira?«
    Aber sie hatte mich gar nicht gehört, sondern starrte regungslos auf den Bildschirm. Ich ging hinaus auf die |78| Veranda und stellte mich neben ihren Stuhl. Und plötzlich hörte ich die Stimme meiner Mutter.
    »Ich heiße Kiki Sparks.« Und da stand sie, mit kurzer blonder Dauerwelle, in der eigens für sie entworfenen Trainingskombination, Hände auf den Hüften, ein Bein leicht seitlich ausgestellt, in dieser selbstbewussten Pose nach dem Motto: Ich kann alles! Und du auch! Sie stand in einer Studiowohnzimmerdekoration vor einer großen Topfpflanze und einem Sofa. »Sie haben Übergewicht. Und Sie haben aufgegeben dagegen anzukämpfen. Hören Sie mir trotzdem zu, bitte! Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, denn ich kann Ihnen helfen!«
    Die Musik setzte ein; ich kannte die Melodie in- und auswendig, hatte die Werbesendung etwa eine Million Male gesehen. Es war die Sendung, durch die meine Mutter zum Star geworden war.
    »Mira?«, sagte ich leise.
    Wir schauten zu, wie meine Mutter, in die Hände klatschend, auf das Publikum im Studio zumarschierte, sich eine Frau schnappte und mit ihr vorführte, wie man möglichst tiefe Kniebeugen im Rhythmus der Musik machte: »Die beste Übung für einen straffen Po!«
    »Es ist einfach unglaublich, was sie erreicht hat«, sagte Mira unvermittelt. »Ich habe allerdings nie daran gezweifelt, dass deine Mutter abnehmen oder – genauer gesagt – die Welt erobern würde.«
    Ich lächelte: »Sie selbst hat auch nie dran gezweifelt, glaube ich.«
    »Sie hatte immer ein sehr gesundes Selbstbewusstsein.« Mira wandte sich halb in ihrem Sessel um, damit sie mich ansehen konnte. Das Fernsehlicht flackerte über |79| ihr Gesicht. »Sie hatte nie Angst, nicht einmal in der schrecklichen Zeit, als ihr beide von Stadt zu Stadt gezogen seid. Und sie hat von unseren Eltern nie auch nur einen Cent angenommen; das hätte gegen ihre Prinzipien verstoßen. Sie wollte allen beweisen, dass sie es allein schaffen würde. Das war ihr immer sehr wichtig.«
    Ich dachte an Ketchupsuppe und die Nächte, in denen wir im Kombi schliefen; an die Male, als sie mich schlafend wähnte und leise vor sich hin geschluchzt hatte, das Gesicht in den Händen verborgen. Meine Mutter war zweifellos sehr stark. Aber vollkommen war sie nicht. Das war niemand.
    Auf dem Bildschirm führte meine Mutter, die Arme in die Höhe gereckt, jetzt eine Horde Aerobic-Begeisterter durch eine Schrittkombination. Sie lächelte, ein strahlendes, beharrliches Lächeln. Ihre Beinmuskeln zeichneten sich deutlich unter dem eng anliegenden Outfit ab, beugten und streckten sich mit jedem Ausfallschritt, jedem Sprung. »Auf geht’s!«, ermunterte sie ihr Publikum – und uns. »Ich weiß, dass ihr es könnt! Ich weiß, ihr schafft es!«
    Mira beugte sich vor und sah aufmerksam zu. »Ich liebe diese Sendung. Das mit dem Übergewicht . . .« Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf. »Mir ist das nicht wichtig, in dem Punkt waren wir schon immer verschieden. Aber ich freue mich mitzuerleben, was sie tun und erreichen kann. Es ist ansteckend. Deshalb sehe ich mir die Sendung immer wieder an.« Ihre Stimme schwebte leise durch die Dunkelheit, während das flackernde Licht vom Fernseher auf unseren Gesichtern tanzte. »Ich bleibe beim Zappen jedes Mal hängen.«
    |80| »Ich auch.« Ich setzte mich zu ihren Füßen auf die Holzbretter und zog die Knie an. Gemeinsam lauschten wir dem Evangelium meiner Mutter, das sie mit jeder weiteren Schrittkombination verkündete: Und rechts und rechts und hoch.

|81| 5
    Das Postamt von Colby bestand aus einem Häuschen mit einem einzigen Raum und einem alten Mann, der

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