Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Crazy Moon

Crazy Moon

Titel: Crazy Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Dessen
Vom Netzwerk:
dem fremde Menschen saßen. Ich konnte niemandem in die Augen sehen und stotterte wie eine Idiotin, wenn ich die Basisfragen stellte, die Morgan mir beigebracht hatte:
Was würden Sie gerne trinken? Haben Sie schon gewählt? Wie möchten Sie Ihren Hamburger, medium oder gut durch? Pommes frites oder Bratkartoffeln?
Während ich die Bestellung auf den Notizblock schrieb, zitterten meine Hände. Es machte mich tierisch nervös, vor diesen Leuten zu stehen, die mich alle
ansahen
.
    Aber ungefähr beim dritten Mal, als ich vor einem Tisch mit lauter Fremden stand, rang ich mich endlich dazu durch, mal hinzuschauen. Und da kapierte ich, dass sie mich im Prinzip gar nicht wahrnahmen. Stattdessen blätterten sie durch die Speisekarte, nahmen ihren Kindern Zuckertütchen weg – Zuckertütchen üben auf kleine Kinder eine magische Anziehungskraft aus – oder waren in ihre Unterhaltung vertieft. Sie waren viel zu sehr mit sich beschäftigt, um mich
anzusehen
. Deshalb winkten sie auch zwanzig Minuten später Isabel an den Tisch und verlangten die Rechnung, weil sie felsenfest davon ausgingen, dass
sie
ihre Bedienung war. Sie kannten mich nicht, sie kümmerten sich nicht um mich. In ihren Augen war ich bloß eine Hilfskellnerin mit Schürze und Teekanne; nicht einmal der Ring in meiner Oberlippe schien ihnen aufzufallen. Mir war es nur recht.
    »Bei diesem Job machst du jeden Tag so viele Erfahrungen wie sonst in einem ganzen Leben zusammen.« |67| Wir hatten gerade glücklich eine Dinner-Stoßzeit hinter uns gebracht und Morgan verkündete mal wieder eine ihrer Botschaften. »Irgendwas braut sich zusammen, wird schlimmer, endet in einer Katastrophe und ist dann plötzlich vorbei – alles innerhalb einer Viertel- oder halben Stunde. Du hast nicht mal genügend Zeit, um in Panik zu geraten. Du musst einfach nur durch.«
    Sie hatte Recht. Es gab für alles eine Lösung, egal, ob ein Hamburger zu gut durchgebraten war, ein Salat das falsche Dressing hatte oder eine Portion Pommes frites fehlte. Und jedes Mal wurde ich ein bisschen schneller, ein bisschen besser, ein bisschen sicherer. Sogar Isabel stand auf meiner Seite.
    »Arschloch«, murmelte sie im Vorbeigehen, nachdem irgendein schlecht gelaunter Tourist mich angefaucht hatte, weil ich ihm Tee ohne anstatt mit Zucker serviert hatte. »Meine Güte, der Mann hat Urlaub. Warum entspannt er sich nicht einfach?«
    Außerdem waren sie spätestens nach einer Stunde wieder weg, egal, wie übel es wurde oder wie unverschämt sich jemand aufführte. Nach allem, was ich hinter mir hatte, war es ein Klacks.
    Meine Mutter zeigte sich allerdings nicht begeistert von meinem Job. »Du sollst dich doch erholen, Schätzchen.« Ihre Stimme drang knisternd von der anderen Seite des Ozeans her durch die Telefonleitung. »Du brauchst wirklich nicht zu arbeiten.«
    »Aber es macht mir Spaß, Mama.« Nur ihr gegenüber gab ich zu, dass es mir tatsächlich gefiel; vor den anderen im Last Chance achtete ich darauf, die Coole zu mimen. Es kam mir manchmal selbst so vor, als hielte ich den Atem an und drückte mir selber beide Daumen, |68| damit es nicht plötzlich aufhörte. Denn das dachte ich tief drinnen: dass es jeden Tag vorbei sein könnte, einfach so.
    Ich versicherte meiner Mutter, dass ich mich nicht mit frittierten Zwiebelringen voll stopfte und jeden Tag Joggen ging, was sie ein wenig beruhigte. Außerdem erwähnte ich weder Miras Karteikärtchen noch ihr Fahrrad oder ihre Sammlung kaputter Möbelstücke. Meine Mutter wurde nämlich leicht hysterisch.
    Aber sie war ohnehin nicht ganz bei der Sache, weil sie am nächsten Tag nach Italien fliegen würde, um dort ihre Kiki-Tour fortzusetzen. Die Italiener hatten ein Fußballstadion für sie gemietet. Aerobic unter freiem Himmel, eine gigantische Open-Air-Veranstaltung: Hunderte von Frauen würden mit meiner Mutter Ausfallschritte machen, die Arme in die Höhe strecken und in die Hände klatschen. Mein Job als Kellnerin würde in diesem Trubel sowieso bald wieder aus ihrem Bewusstsein verschwinden.
    Aber nicht aus meinem. Denn ich hatte jetzt eine Freundin.
    Es geschah am Ende der ersten Woche, nachdem wir hinter dem letzten Gast abgeschlossen und den Fußboden gewischt hatten. Meine Füße taten weh und ich stank nach Bratenfett, aber an diesem Abend hatte ich fünfzig Dollar verdient, ich ganz allein. »Komm mit, Colie, ich will dir was zeigen«, meinte Morgan plötzlich.
    Ich folgte ihr durch die Hintertür ins Freie. Wir kletterten über

Weitere Kostenlose Bücher