Crazy Moon
zunächst kaum sichtbar war, nur wenig größer als ein Punkt. Doch als der Punkt sich näherte, wurde er immer größer, bis ich allmählich Einzelheiten ausmachen konnte. Erst die Farbe – rot. Doch bevor ich mehr erkennen konnte, hörte ich, dass der Punkt ein Geräusch machte: Er klingelte.
In dem Moment, da mir aufging, dass es sich um Miras verrücktes rotes Fahrrad handelte, verließen ein paar Gäste plaudernd und lachend das Last Chance: Studentinnen vermutlich, die ihre Ferien in der Gegend verbrachten. Sie trugen Sonnenbrillen und ihre T-Shirts waren an den Stellen nass, wo sich Badeanzüge und Bikinis darunter abzeichneten.
Tagesausflügler,
hatte Isabel sie verächtlich genannt, als trügen sie Brandzeichen oder so was. Sie wollten vermutlich gerade zum Strand zurückfahren und horchten – wie zuvor ich – auf, weil das Geräusch immer näher kam.
Klingeling!
Es klang wie die Klingeln der Zeitungsjungen in alten Filmen, hoch und hell, und wurde immer |61| lauter, je mehr sich das Fahrrad näherte. Die Mädchen hörten auf zu reden; gemeinsam sahen wir zu, wie Mira in voller Größe in Sichtweite kam.
Sie hatte die Ärmel ihres gelben Overalls hochgekrempelt und trug ein ausgelatschtes Paar lila Turnschuhe. Ihre langen roten Haare flatterten wild hinter ihr im Wind, eine Art lebender Umhang. Als Krönung trug sie ihre schwarze Sonnenbrille mit den undurchdringlichen Riesengläsern, wodurch sie aussah wie der Terminator. Die Reflektoren ihres ramponierten Fahrrads leuchteten mit der Sonne um die Wette.
Und sie hörte nicht auf zu klingeln.
Klingeling! Klingeling!
»Ach du liebe Zeit«, sagte eines der Mädchen und lachte. »Was ist
das
denn?«
Mira näherte sich der Kreuzung. Die Mädchen liefen zu ihrem Wagen hinüber. Sie kicherten und quasselten miteinander, ließen Mira dabei jedoch nicht aus den Augen. Aber Mira nahm gar keine Notiz von ihnen. Sie sah nur mich.
»Colie!« Sie nahm eine Hand vom Lenker und winkte heftig. Als hätte auch nur die geringste Chance bestanden, dass ich sie übersehen könnte. »Hallo, hier bin ich!«
Ich spürte, dass die Mädchen zu mir herübersahen, und mein Gesicht brannte. So unauffällig wie möglich hob ich eine Hand und winkte zurück. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.
»Ich fahre zum Supermarkt, Teigmischung kaufen!«, brüllte sie in höchsten Tönen, weil gerade ein dicker Brummer von Lastwagen vorbeidonnerte. »Brauchst du irgendwas?«
|62| Es gelang mir, den Kopf zu schütteln, wenn auch nur so gerade eben.
»Okay!« Übermütig hob sie den Daumen. »Bis später!« Damit fädelte sie sich in den Verkehr ein. Zunächst trat sie noch ziemlich vorsichtig in die Pedale, weil sie mehreren Schlaglöchern ausweichen musste, doch bald ließ sie die Bremsen los und sauste den Hügel hinunter, auf die Stadt zu.
Die Straße fiel immer stärker ab und Mira gewann zunehmend an Tempo. Die Speichen des Fahrrads verschwammen ineinander. Jeder, an dem sie vorüberfuhr, glotzte sie an: die Autofahrer, die Studentinnen auf ihrem Tagesausflug, jeder, sogar ich. Wir alle starrten ihr nach, während ihre Haare wieder zu fliegen begannen. Der Reflektor über dem Rücklicht ihres Fahrrads funkelte wie eine Wunderkerze und explodierte im Sonnenlicht, genau in dem Moment, als sie um die Kurve bog und verschwand.
»Mayonnaise und Männer haben viel gemeinsam«, verkündete Morgan.
Es war halb zehn, mein erster Tag bei der Arbeit. Ich war allerdings schon um sechs Uhr aufgestanden. Die ganze Zeit dachte ich, Morgan würde mich vergessen oder sich anders entscheiden, aber sie fuhr pünktlich um Viertel nach neun vor Miras Haus vor und hupte laut, so wie wir es verabredet hatten.
Außer uns war noch kein Mensch da. Der Oldie-Sender im Radio spielte gerade »Twisting the night away«. Wir machten Salatsoße und steckten bis zu den Ellbogen in fettiger, süßlich riechender Mayonnaise.
Morgan schaufelte noch einen Löffel von dem cremigen |63| Zeug in die Schüssel: »Sowohl Mayonnaise als auch Männer können deinem Leben eine besondere Würze und Lockerheit geben und es verbessern. Oder sie sind bloß klebrig und ekelig und dir wird schlecht davon.«
Ich lächelte, rührte die Mayonnaise in meiner Schüssel glatt und ließ ihre Worte auf mich wirken. »Ich kann Mayonnaise nicht ausstehen.«
»Du wirst noch mitkriegen, dass du Männer ab und zu auch nicht ausstehen kannst. Aber Mayonnaise kannst du einfach weglassen, Männer leider nicht.«
Das war
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