Crazy Moon
Meinung geigen wollte. Aber der- oder diejenige war immer schon weggefahren, genau vor ihrer Nase, deshalb kehrte sie zurück und band sich ihre Schürze wieder um, nicht ohne dabei laut vor sich hin zu grummeln.
Isabel zuckte nie mit der Wimper, wenn Morgan wieder einmal durchdrehte. Sie schien sich nie wirklich über irgendwas aufzuregen oder zu ärgern; sie nahm nichts persönlich. Morgans dramatische Ader reichte für beide zusammen.
Manchmal sprang ich für Morgan ein und übernahm |75| zwei Schichten hintereinander, damit sie zu Hause bleiben und darauf warten konnte, dass Mark anrief. Sie war mir jedes Mal sehr dankbar. Manchmal vertrat ich auch Isabel, damit sie zum Strand gehen oder ausschlafen konnte, weil sie einen Kater hatte. Man kann allerdings nicht behaupten, dass sie besonders dankbar gewesen wäre. Allerhöchstens erntete ich ein knappes Danke, das sie mir, schon im Weggehen, über die Schulter zurief. Wenn wir gemeinsam in einer Schicht arbeiteten, drehte sie das Radio laut, damit sie sich nicht mit mir zu unterhalten brauchte. Und nach Arbeitsschluss fuhr sie meistens noch in die Stadt, so dass ich allein durch die Dunkelheit nach Hause gehen musste.
Aber es machte mir nichts aus, nicht wirklich. Ich hatte ganz Anderes hinter mir, hatte jahrelang erlebt, wie hinter meinem Rücken über mich getuschelt, wie ich in Sporthallen und Umkleideräumen zur Zielscheibe gehässigen Spotts wurde. Da war es mir sogar fast lieber, wenn jemand vor mir stand und mir irgendeine Gemeinheit ins Gesicht sagte. Man hatte mich schon alles Mögliche genannt:
Fettauge
und
Flittchen
und
Nutte
und
leicht zu haben
und
ein Loch für alle Fälle.
Deshalb störte es mich nicht, wenn mich jemand nicht beachtete. Lange Zeit war genau das alles gewesen, was ich wollte.
Wenn ich für die Mittagsschicht eingeteilt war, kam ich am späten Nachmittag nach Hause, während Mira ihr Nickerchen machte. Sie brauchte täglich ihr Schläfchen, wie ein Kleinkind; sie behauptete, sie sei sonst zu nichts nütze. Ich zog meine Schuhe aus, schlich auf Zehenspitzen durchs Haus und stöberte in Ruhe herum, wobei ich stets die Ohren spitzte, um das Knarren ihrer Schlafzimmertür nicht zu überhören.
|76| Mira war nicht gerade die perfekte Hausfrau. Überall lag Staub und in den oberen Ecken der Räume hingen Spinnweben. In der ersten Woche hatte ich mich aus eigenem Antrieb über mein Zimmer hergemacht, Fenster geputzt und unter dem Bett gekehrt, wobei ich paar verlorene Socken und jede Menge gigantischer Staubflocken aufscheuchte. Unten im Besenschrank entdeckte ich drei Staubsauger, die selbstverständlich alle KAPUTT waren. Mit blieb daher nichts anderes übrig als mir, so gut es ging, mit dem Besen zu behelfen und dabei über das Rätsel Mira vor mich hin zu grübeln.
Sie fuhr überall mit dem Fahrrad hin, sogar nachts. Dann befestigte sie eine Lampe am Lenkrad, die so hell war, dass entgegenkommende Autofahrer davon geblendet wurden. Sie ernährte sich ausschließlich von Salat mit gegrillter Hühnerbrust, selbst gebackenen Doughnuts und Cornflakes.
Ständig fing sie etwas Neues an, brachte jedoch nie was zu Ende. Ich hätte gerne gewusst warum, hatte allerdings im Traum nicht vor sie danach zu fragen. Unter anderem stand im Wohnzimmer ein kaputter Bambusstuhl, für den sie einen neuen Sitz flechten wollte; ein Porzellanschwein wartete geduldig auf drei Beinen neben einer Tube Alleskleber; einem Spielzeugbus fehlten zwei Räder und die vordere Stoßstange war eingedrückt, so dass er aussah, als sei er in einen schweren Miniaturunfall verwickelt gewesen – sehr passend für einen Miniaturbus.
Jeden Abend arbeitete Mira vor dem Fernseher – FÜR KANAL ELF EIN BISSCHEN WACKELN – an ihren zahlreichen Projekten. Aber nichts wurde je wirklich repariert; sie fummelte nur ein wenig dran rum und |77| versah den Gegenstand anschließend mit einem Schild. Eines Tages nahm sie den Wecker in meinem Zimmer auseinander – obwohl ich ihn jeden Tag neu eingestellt hatte, ging er GRUNDSÄTZLICH FÜNF MINUTEN NACH – und setzte ihn wieder zusammen. Sie war sehr stolz auf sich, bis sie bemerkte, dass sie beim Zusammensetzen eine große Sprungfeder vergessen hatte, was zur Folge hatte, dass der Wecker von nun an nicht mehr klingelte, sondern ein herzzerreißendes Geräusch von sich gab, das wie ein
Stöhnen
klang. Am nächsten Tag schlich ich mich zum Elektroladen und kaufte mir einen schönen neuen Digitalwecker, den ich heimlich ins Haus
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