Credo - Das letzte Geheimnis
verloren?«
Ford nickte. Er fragte sich, warum er mit Hazelius darüber redete, obwohl er sich in diesem Punkt nicht einmal seinem eigenen Seelenklempner geöffnet hatte.
»Wie sind Sie damit fertig geworden?«
»Gar nicht. Ich bin davongelaufen, in ein Kloster.«
Hazelius trat ein Stück näher. »Sind Sie denn ein gläubiger Mensch?«
»Ich … weiß es nicht. Ihr Tod hat meinen Glauben erschüttert. Ich musste herausfinden … wo ich stand. Woran ich eigent lich glaubte.«
»Und?«
»Je mehr ich mich bemüht habe, desto unsicherer wurde ich. Es hat mir gutgetan, zu erkennen, dass ich niemals ganz sicher sein würde. Dass ich eben doch nicht zum wahren Gläubigen geboren bin.«
»Vielleicht kann kein rationaler, intelligenter Mensch sich seines Glaubens jemals sicher sein«, sagte Hazelius. »Oder umgekehrt – ich kann mir niemals sicher sein, dass ich
nicht
glaube. Wer weiß, vielleicht sitzt Eddys Gott wirklich da oben – ein rachsüchtiger, sadistischer Völkermörder, bereit, jeden zu verbrennen, der nicht an ihn glaubt.«
»Als Ihre Frau starb …«, fragte Ford zögerlich, »wie sind Sie damit umgegangen?«
»Ich habe beschlossen, der Welt etwas zurückzugeben. Und da ich nun mal Physiker bin, habe ich mir Isabella einfallen lassen. Meine Frau hat immer gesagt: ›Wenn der klügste Mensch auf der Welt nicht rausfinden kann, wie wir hierhergekommen sind, wer denn dann?‹ Isabella ist mein Versuch, diese Frage zu beantworten – und viele andere. Das ist mein Glaubensbekenntnis.«
In einem kleinen Fleckchen Sonnenlicht entdeckte Ford eine junge Eidechse, die sich an die Felswand klammerte. Irgendwo über ihnen kreiste immer noch der goldene Adler, dessen schrille Rufe von den Klippen widerhallten.
»Wyman«, fuhr Hazelius fort, »wenn diese Hacker-Geschichte nach außen dringt, würde dies das Ende des Isabella-Projekts bedeuten, das Ende unserer Karrieren, und es würde die amerikanische Wissenschaft um eine Generation zurückwerfen. Das ist Ihnen doch bewusst, nicht wahr?«
Ford sagte nichts.
»Ich bitte Sie von ganzem Herzen, dieses Problem niemandem zu verraten, bis wir eine Chance hatten, es zu beseitigen. Alles andere würde unseren Ruin bedeuten – Kates Karriere eingeschlossen.«
Ford warf ihm einen scharfen Blick zu.
»Ja, ich merke, dass zwischen Ihnen beiden etwas ist«, fuhr Hazelius fort. »Etwas Gutes. Etwas Heiliges, falls ich dieses Wort dafür gebrauchen darf.«
Schön wär’s
, dachte Ford.
»Geben Sie uns noch achtundvierzig Stunden Zeit, um dieses Problem zu lösen und das Isabella-Projekt zu retten. Ich flehe Sie an.«
Ford fragte sich, ob dieser unter Hochspannung stehende kleine Mann seinen wahren Auftrag kannte oder zumindest erraten hatte. Es kam ihm beinahe so vor.
»Achtundvierzig Stunden«, wiederholte Hazelius leise.
»Also gut«, sagte Ford.
»Ich danke Ihnen«, sagte Hazelius so emotional, dass seine Stimme ein wenig heiser klang. »Und jetzt hinauf mit uns.«
Ford legte die Hände auf die Stufe über seinem Kopf und folgte Hazelius langsam den gefährlichen Pfad hinauf. Die Witterung hatte die Stufenränder verwischt und glattgeschmirgelt, und Ford hatte Schwierigkeiten, mit Händen und Füßen Halt zu finden.
Als sie die kleine Ruine erreichten, blieben sie auf dem Felsvorsprung vor dem Eingang stehen, um zu verschnaufen.
»Sehen Sie.« Hazelius zeigte auf die Stelle, wo ein ehemaliger Bewohner des Hauses eine Schicht Lehmputz über die steinerne Wand gelegt hatte. Der Großteil dieses Putzes war erodiert, doch in der Nähe des hölzernen Türsturzes waren noch Handabdrücke und Reste eines Streifenmusters im getrockneten Lehm zu erkennen.
»Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie sogar die Schleifen und Bögen in den Fingerabdrücken«, erklärte Hazelius. »Sie sind tausend Jahre alt, und dies ist alles, was von diesem Menschen geblieben ist.«
Er wandte sich dem Horizont zu. »So ist das mit dem Tod. Eines Tages, wumm. Alles weg. Erinnerungen, Hoffnungen, Träume, Häuser, geliebte Menschen, Besitz, Geld. Unsere Verwandten und Freunde verdrücken ein Tränchen, halten eine hübsche Feier ab und leben ihr Leben weiter. Wir werden zu ein paar verblassenden Fotos in einem Album. Und dann sterben jene, die uns geliebt haben, und jene, die sie geliebt haben, und bald ist auch die Erinnerung an uns ausgelöscht. Sie haben sicher schon diese alten Fotoalben in Antiquitätenläden gesehen, voller Leute, die nach der Mode des neunzehnten Jahrhunderts
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