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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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und ihn dann mit dem Auto abholen kommen. Als sie hörte, wo er sie erwartete, lief es ihr kalt über den Rücken. In dem Haus in der Nähe hatte ihre Kindheit geendet. Sie war elf Jahre alt gewesen, als Vetter Dave mit ihrer »Erziehung« anfing. Er war vierzehn und ihr Idol. Sie war ihm überallhin gefolgt, war seine willige Sklavin gewesen, hatte ihn gedeckt, für ihn gelogen und ihn geliebt.
    Deshalb hatte sie es als Kompliment empfunden, als er von ihr wollte, dass sie auch das noch für ihn tat. Es war der intimste Teil seines Körpers, und er erlaubte ihr, ihn dort anzufassen. Beim ersten Mal hatte sie seine Reaktion furchtbar erschreckt, aber hinterher war er richtig nett zu ihr gewesen, hatte ihr die Hände gewaschen und die Bluse saubergemacht, sodass es den Preis wert gewesen war.
    Mit der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt, ihn zu berühren, und auch die Reaktion seines Körpers auf ihre Hände war ihr vertraut geworden. Die Tatsache, dass es ihr gemeinsames Geheimnis war, machte sie irgendwie zu etwas Besonderem. Dann bekam sie ihre Periode, und ihre Brust veränderte sich fast über Nacht von flach zu peinlich, und von da an wollte er nicht mehr bloß ihre Hände, sondern ihren ganzen Körper, und da war es schon zu spät gewesen, um aufzuhören. Noch heute wachte sie manchmal nachts schweißgebadet auf, weil sie davon geträumt hatte, wie er sie das erste Mal wirklich erkundete. Er hatte ihr so wehgetan, dass sie vor Schmerz geschrieen hatte, aber er hatte einfach weitergemacht.
    Hinterher hatte eine neue Begeisterung in seinen Augen gelegen. Im Rückblick, nach Jahren der Unterdrückung, war ihr klar geworden, dass er damals entdeckt hatte, dass es für ihn noch erregender war, wenn er ihr beim Sex wehtat. Damals hätte sie ihn verlassen sollen, aber sie hatte zu viel Angst gehabt, und außerdem hatte sie jeden Tag neu gehofft, dass er sich ändern würde. Allmählich war sie auf seine Form von Sexualität und Bestrafung so gepolt, dass sie auch etwas davon hatte. Manchmal überraschte er sie hinterher mit einem Ge schenk – wahrscheinlich gestohlen, aber das machte ihr nichts – , und er küsste und liebkoste sie. Sie blieb bei ihm, weil sie hoffte, dass es das nächste Mal anders sein würde. Schließlich kannte sie nur Beziehungen, die mit Misshandlungen einhergingen.
    Während Wendy sich anzog und die Wagenschlüssel suchte, versuchte sie angestrengt, nicht über ihr Leben nachzudenken. Glücklich war sie eigentlich nur an ihrem Arbeitsplatz, wo sie Menschen half, alles tat, damit sie keine Schmerzen mehr hatten. Sie konnte ihre Qualen und den Würdeverlust nachempfinden, und das machte sie zu einer guten Krankenschwester. Es gab nur eine Station, auf die sie nie wollte, ganz im Gegensatz zu ihren Kolleginnen. Für sie war die Entbindungsstation die reinste Hölle. Sie war vierzehn gewesen, als sie ihre erste Abtreibung gehabt hatte. Dave hatte sich um alles gekümmert, und sie war zu verängstigt gewesen, um sich ihm zu widersetzen.
    Der »Arzt« hatte in einer verwahrlosten Gegend von Birmingham gearbeitet, in einem Reihenhaus, in dem der Geruch von Bleichmittel den widerlichen Gestank von irgendwas Organischem nicht überdecken konnte. Sein Atem hatte nach Zwiebeln gerochen, aber seine Hände waren sauber gewesen, und er hatte sich bemüht, ihr nicht wehzutun. Als sie nach Hause gekommen war, von Schmerzen geschüttelt, hatte sie eine riesige Binde zwischen den Beinen gehabt. Sie hatte gesagte, dass sie nicht in die Schule gehen könne, und ihre Mum hatte nur gemeint, »ganz wie du willst«. Drei Tage lang war sie im Haus geblieben, bis die Blutung und die Schmerzen nachließen.
    Wendy nahm ihre Taschen und schloss die Wohnung ab. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie in letzter Zeit so oft an die Vergangenheit dachte, die normalerweise sicher hinter einer dicken Wand aus Verdrängung und Verleugnung versteckt war. Aber in den letzten Tagen, während ihrer Grippe, waren vor ihrem geistigen Auge ständig irgendwelche Szenen aus ihrer Jugend abgelaufen.
    Es war ein kurzes Stück mit dem Auto bis zur Post, und eine Zweigstelle ihrer Bank war nur zweihundert Meter entfernt. Es waren zwei Briefe von Wayne gekommen. Als sie am Geldautomaten den Höchstbetrag ziehen wollte, wurde ihre Karte einfach einbehalten, deshalb musste sie in die Bank gehen und einen Scheck einlösen. Gegenüber war ein Secondhand-Laden, und sie blieb kurz stehen, um sich die Auslagen anzuschauen. Durch das gleißende

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