Crescendo
das ein vernünftiger Grund gewesen sein, aber jetzt nicht mehr. Da muss mehr dahinter stecken.«
Fenwick spürte eine Ader am Hals pochen. Vielleicht war der Mann absichtlich so provokant, aber er war nicht in der Stimmung, sich darauf einzulassen. Ja, er verlor schnell die Geduld. Ja, er hatte mehr als einmal deutlich gemacht, dass Harper-Brown ein Idiot war, aber die Zeiten waren vorbei. Er redete sich ein, dass er Zurückhaltung gelernt hatte. Und gerade gegenüber diesem neugierigen Arschloch würde er sich nicht selbst das Gegenteil beweisen.
MacIntyres Telefon klingelte und ersparte ihm eine Fortführung der Unterhaltung. Der Fahrer kam zurück, und während der Weiterfahrt schwiegen sie. Fenwick schlief ein.
In seinem Traum sah er, wie Ginny sich ein Bad einlaufen ließ und dann in den Schaum hineinglitt. Er war draußen vor dem Badezimmerfenster und konnte alles sehen. Dann änderte sich das Bild. Jetzt war er hinter Smith, der die Treppe hinaufschlich. Fenwick wollte ihn festhalten, doch Smith schüttelte ihn ab, als wäre er substanzlos wie ein Geist.
Ginny trocknete sich jetzt ab. Er konnte sie sehen, obwohl die Tür fast geschlossen war. Als sie sich umdrehte und Smith erblickte, öffnete sich ihr Mund zu einem stummen Schrei, aber sie versuchte nicht zu fliehen. Stattdessen hob sie etwas auf, das er nicht erkennen konnte, und ging auf ihn zu. Sie war die Angreiferin und lächelte jetzt. Smith wollte weglaufen. Ginny warf sich auf ihn. Ihre Hand mit der unsichtbaren Waffe hob und senkte sich, fügte dem Mann unter ihr grässliche Verletzungen zu. Warmes Blut schoss im Bogen hervor und spritzte in einem dickflüssigen, kirschroten Strahl in Fenwicks Gesicht. Er bekam Panik und wollte es wegwischen, da erwachte er.
Wieder einmal fegte ein Sommerregen über sie hinweg. Durch das offene Fenster fielen ihm Tropfen aufs Gesicht. Verstört und desorientiert kurbelte er die Scheibe hoch. MacIntyre telefonierte noch immer. Der Traum hatte Fenwick durcheinander gebracht. Er starrte die Wassertropfen auf der Fensterscheibe an und suchte in den Bildern nach einer Bedeutung, aber sie entzog sich ihm.
Schließlich nahm er die Fotos vom Tatort aus seiner Aktentasche, obwohl ihm vom Schaukeln und Schwanken des Wagens leicht übel war. Es waren so viele Fotos. Er sah sie durch, bis eine Nahaufnahme von Ginnys Hand, die eine Glasscherbe umklammert hielt, seine Aufmerksamkeit fesselte. Die scharfen Kanten hatten ihr in die Handfläche und die Innenseite der Fingerknöchel geschnitten, aber sie hatte sie festgehalten, trotz des Schmerzes.
Blut war ihr übers Handgelenk gelaufen. Die Scherbe war voll davon. Fenwick sah sich das Foto erneut an, und auf einmal wurde sein Kopf wieder klar. Unerwartete Tränen traten ihm in die Augen, und er blinzelte sie weg. Sie hatte sich gewehrt, diese tapfere, kleine Achtzehnjährige. Sie hatte getreten und gekratzt und geschrieen. Und sie hatte ihn mit der Scherbe verletzt. Das Blut auf dem Glasstück, das sie als Dolch benutzt hatte, war nicht von ihr. Es war seins. Sie hatte ihn verwundet! Der Gedanke erfüllte ihn mit archaischer Freude und jagte einen Energiestoß durch seinen müden Körper. Er blickte auf. MacIntyre starrte ihn an, hatte sein Telefonat vergessen. Sein üblicher Blick, in dem amüsierte Neugier lag, hatte etwas anderem Platz gemacht. War es Sorge? Nein. Es war gespannte Erwartung.
»Sie haben in den Fotos was entdeckt.« Das war keine Frage.
»Sehen Sie sich das an.« Er reichte ihm das Foto von Ginnys rechter Hand. »Das ist sein Blut, nicht ihres. Es war ihre Waffe. Sie hat ihn damit verletzt. Sonst wäre das Blut an den Rändern, die keinen Kontakt mit ihrer Hand haben, nicht so dick.«
MacIntyre studierte das Foto.
»Das ganze Badezimmer war doch voller Blut. Das könnte von überallher gekommen sein.«
»Das glaube ich nicht. Auf den anderen Aufnahmen kann man klar erkennen, dass das Fließmuster des Blutes aufwärts und weg von ihrer Hand verläuft.«
MacIntyre nickte langsam.
»Wäre möglich. Wieso sind Sie sich so sicher?«
Fenwick war nicht gewillt, ihm seinen Traum zu erzählen.
»Das lässt sich leicht überprüfen. Die Spurensicherung wird die einzelnen Scherben eingetütet und nummeriert haben. Stellen Sie fest, ob das ganze Blut von Ginny ist.«
MacIntyre gab die neue Information telefonisch durch. Sie waren kurz vor London, als das Telefon klingelte. Ein Motorrad war im Wald versteckt gefunden worden. In den Satteltaschen waren
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