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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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Freiraum brauchten, aber auch achteten. Sie trank ihren Tee aus und spülte automatisch die Tasse ab. Es war Zeit, nach Clovelly zu gehen und sich wieder dem schrecklichen Typen im Internetcafé zu stellen. Dann würde sie etwas Weihwasser aus der Kirche mitnehmen, um das Grab ihrer kleinen Schwester zu weihen, bevor sie sich an die mühselige Arbeit begab, das Haus fertig zu machen und zu packen.
     
    Nightingale war sehr früh am Hafen, gerade rechtzeitig, um die heimkehrenden Fischerboote zu sehen, die ihren frischen Fang kurz darauf gegen eine menschliche Fracht austauschen würden, kleine und große Kinder, die schon darauf brannten, mit rotierenden Metallködern Makrelen zu fischen. Es würde wieder ein heißer Tag werden.
    Die Sonne erhellte das Meer wie in Zeitlupe, als sie langsam hinter den Bergen aufstieg. Eine magische halbe Stunde lang konnte Nightingale sich das Dorf so vorstellen, wie es bei seiner Entstehung im sechzehnten Jahrhundert gewesen war. Es war ein vollkommen sicherer Hafen an der gefährlichen Küste von Nord-Devon. An diesem frühen Morgen war es so friedlich, die Stille nur vom Kreischen der hungrigen Möwen und den gelegentlichen Rufen der Fischer durchbrochen, zeitlose Laute, die die Ruhe der Szenerie nur noch stärker spüren ließen.
    Der Zeitungsladen machte als Erster auf, dann ein Café direkt am Hafen, das Frühstück für Leute anbot, die keine Lust hatten, sich selbst eins zu machen. Sie hatte zwar schon gefrühstückt, war aber wieder hungrig geworden, also kaufte sie sich die Times und ging dann in das Café, wo sie sich ein Schinkensandwich und eine Tasse Tee bestellte. Es war die erste Zeitung, die sie seit ihrer Flucht aus Harlden in Händen hielt.
    Auf der Titelseite war die für die Zeitungslandschaft im August übliche Mischung aus Belanglosigkeiten. Ein Rekordregen im Westen Schottlands wurde immerhin mit dem Foto eines Mannes dokumentiert, der in einem Kanu an einem Schild vorbeipaddelte, das Richtung Stadtmitte zeigte. Auf der nächsten Seite wurde der Außenminister kritisiert, der lieber Urlaub in Portugal machte, als auf eine Rebellion in Zentralafrika angemessen zu reagieren, und über die neueste Freundin von Prince William spekuliert.
    Seite drei widmete sich den Inlandsnachrichten, vor allem dem Mord an einer Achtzehnjährigen, die vor drei Tagen in ihrem Elternhaus getötet worden war, und der Fahndung nach dem mutmaßlichen Täter. Es war deprimierend, aber auf Nightingale hatte es eine eigenartige Wirkung. Anstatt den Artikel zu lesen und weiterzublättern, betrachtete sie ihn fast so wie Beweismaterial, das untersucht und ausgewertet werden musste. Es war ein waghalsiges Verbrechen, offenbar das Werk eines besessenen Psychopathen. Sie murmelte dem Caféinhaber ein leises »Bin gleich wieder da« zu, ging hinaus und kaufte sich den Telegraph und die Daily Mail. Ohne auf die anderen Nachrichten zu achten, schlug sie in beiden Zeitungen gleich die Berichterstattung über den Mord auf. Der Telegraph zitierte ausführlich den die Ermittlungen leitenden Chief Inspector sowie einen Superintendent von der Londoner Polizei, der einen Zusammenhang zwischen dieser Tat und anderen in Wales und London für möglich hielt.
    Die Polizei bat um Mithilfe bei der Fahndung nach einem gewissen David Smith, siebenundzwanzig Jahre alt, von dem ein Phantombild abgedruckt war, das Nightingale genau studierte und sich automatisch einprägte. Zwischen den Zeilen des Artikels konnte sie lesen, dass die Polizei trotz des dringenden Tatverdachts gegen Smith nur wenig über die Beweislage publik machen wollte.
    Da sich das Café langsam füllte, bestellte sie noch einen Tee, um nicht den Anspruch auf ihren Tisch zu verlieren und auch noch in Ruhe die Mail lesen zu können. Wie erwartet, wurde hier sehr viel stärker auf die menschliche Seite eingegangen. Sie las die Beschreibung von Ginnys kurzem Leben und rang mit den Tränen, als die trauernden Eltern zitiert wurden. Die Pressekonferenz der Polizei wurde ausführlich wiedergegeben, und es war ein Foto dabei. Sie erkannte Fenwick sofort und hätte fast den Tee verschüttet. Er wurde in dem Artikel nicht erwähnt, und sie verstand nicht, was er mit dem Fall zu tun hatte. War er während ihrer Abwesenheit zurück nach London gegangen? Sie starrte lange auf sein Bild, während ihr Tee kalt wurde. Er blickte ernst, so wie sie ihn kannte. Wieder wurde ihr klar, dass er in erster Linie Polizeibeamter war und erst in zweiter Linie ein Mann.

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