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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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Farm, plätscherte ein paar Meilen vor sich hin und verschwand dann unter der Erde, um nur wenige Meter vor dem Mühlrad mit sehr viel größerer Kraft wieder aufzutauchen. Sobald sie dort war, stieg ihre Hoffnung. Es war so ungeheuer friedlich, als ob die Welt vor dem Ring aus Ebereschen, die die Quelle des Bachs bewachten, Halt gemacht hätte. Auf einer Seite des Wassers lag eine Steinplatte, uralt und mit Moos bedeckt, die trotz der Neigung der Böschung ganz gerade auf stützenden Felsen ruhte. Nightingale stellte sich vor, wie Druiden hier irgendwelche heiligen Handlungen vollzogen hatten, bevor sie der Flussgöttin Opfergaben darbrachten. Das Wasser war kalt und klar.
    Anstatt die Farne und Gräser wegzuschneiden, bog sie sie beiseite, weil sie das üppige Grün nicht mit hässlichen Narben verunstalten wollte. Sie brauchte nicht lange, um den Grabstein zu finden: schwarzer, glatt polierter Granit, in den ganz zart und fein eine Hirschkuh mit Kitz eingemeißelt war. Das Kleine stand behütet zwischen den Beinen der Mutter und hatte sich gegen ihre schützende Wärme gelehnt. Es war ein trauriges kleines Geschöpf, oder lag es an den Umständen, dass Nightingale den Eindruck hatte? Große Augen blickten, als würde die Angst vor der Welt das Jungtier für alle Zeit an die Mutter binden. Aber es war vor allem das Gesicht der Mutter, bei dessen Anblick Nightingale einen Kloß im Hals bekam: eher Mensch als Tier, der Mund nach unten gezogen und die Augen dunkel vor Trauer.
    Sie säuberte den Stein behutsam von Gras und Unkraut und rupfte das Moos aus den tiefer eingemeißelten Linien. »Meiner geliebten Louise, in ewiger Liebe.« Als sie ihren eigenen Namen las, war sie fast so schockiert wie bei der Entdeckung ihrer wahren Identität. Ihr Hass auf Amelia war abgeebbt, denn schließlich war die Täuschung das Werk von zwei Menschen gewesen. Als sie das Grab vor sich sah, gestand sie sich zum ersten Mal ein, was ihr Vater da Ungeheuerliches getan hatte. Er hatte einer Frau, die er doch angeblich liebte, das Kind genommen und ihr unsäglichen Schmerz zugefügt, um seinen eigenen Verlust leichter ertragen zu können.
    Würde ihre wahre Mutter ihre geliebte Louise überhaupt noch einmal lieben können, oder war es dazu für immer zu spät? Nightingale hätte gerne um ihre tote Schwester geweint und ein Gebet für sie gesprochen, doch weder die Tränen noch die Worte wollten kommen. Es war, als blickte sie auf ihr eigenes Grab hinunter, während in ihrer Haut eine Betrügerin lebte.
    Erst sehr spät kehrte sie zum Haus zurück, wo sie sich zu ihrer Schande den Bauch voll stopfte und dann schnurstracks ins Bett ging. Regen weckte sie, ein kräftiger Schauer, der aber sicher bald wieder aufhören würde. Auf dem Wecker neben ihrem Bett sah sie, dass es halb sechs Uhr morgens war. Sie würde nicht mehr einschlafen können und beschloss aufzustehen. Wie immer konnte sie zwischen zwei Wegen in die Küche wählen: über den oberen Flur und dann die Haupttreppe mit den morschen Stufen hinunter oder über die Hintertreppe, die direkt in die Küche führte. Sie entschied sich für die zweite Möglichkeit, wie früher als Kind. Der Gedanke, dass sich gleich hinter einer Tür in der Küche eine Treppe verbarg, hatte sie immer fasziniert.
    Sie hatte das Grab ihrer Halbschwester gefunden, und das hatte die Welt für sie verändert. Die Erkenntnis war zwar schmerzlich gewesen und hatte sie sehr durcheinander gebracht, aber zum ersten Mal ergab ihr Leben einen Sinn. Sie wusste nun, wer sie war, und sie kannte die Gründe für ihre frühere Entwurzelung. Jetzt musste sie nur noch entscheiden, was aus ihr werden sollte.
    Das hieß also … ja was? Sie trank ihren Tee und zupfte vorsichtig an überkrusteten Erinnerungen. Sie könnte zurückkehren, in ihre Wohnung, zur Arbeit und zu ihren Freunden. Falls sie bei der Polizei blieb – und das war der einzige Beruf, zu dem sie sich irgendwie berufen fühlte –, dann an dem Ort ihrer Wahl. Sie würde in Harlden bleiben oder ganz aufhören.
    Das würde natürlich die Konfrontation mit Andrew Fenwick bedeuten. Bei dem Gedanken stellte sich das übliche, dumpf traurige Gefühl ein. Beziehungen zwischen Kollegen waren nicht selten, aber sie wusste, dass er nichts davon hielt, denn ihm musste einfach davor grausen, wenn sich die Grenze zwischen Privatleben und Beruf verwischte. Sie waren nämlich vom selben Schlag, sie und Andrew, verschlossene, zurückhaltende Menschen, die persönlichen

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