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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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oben. Die Verblüffung auf ihrem Gesicht belohnte ihn. Dieses Verhalten war so ungewöhnlich für ihn. Es kam fast einer Art Vorspiel nahe, etwas, womit er sich nie abgegeben hatte.
    Wortlos hielt sie am Straßenrand und stellte den Motor ab.
    »Da sind wir.«
    Er zog die Hand weg, schenkte ihr seinen hinreißendsten »Ich-steh-auf-dich«-Blick, den sie vermutlich noch nie zuvor gesehen hatte, und griff nach seinem Gehstock. Weil er ein kluger Junge war, humpelte er auf dem Fuß, mit dem er am Vortag umgeknickt war, obwohl es kaum noch wehtat.
    In der Pension angekommen, schaltete er den Fernseher ein und vögelte sie, noch ehe sie Zeit zum Auspacken hatte. Es war für sie beide erstaunlich befriedigend. Hinterher streichelte sie die Seite seines Gesichts, wo kein Verband war.
    »So hast du mich schon jahrelang nicht mehr behandelt.« Doch anstatt einfach nur dankbar zu sein, stellte sie eine saublöde Frage. »Warum?«
    Er konnte schlecht antworten: »Weil ich mir dabei vorgestellt habe, wie ich dich umbringe, du dämliche Kuh«, deshalb lächelte er nur geheimnisvoll.
    »Schieb los und sag der Besitzerin, ich möchte mein A bendessen aufs Zimmer haben. Du kannst im Speiseraum essen, aber sei um neun wieder hier.«
    Als sie aus dem Zimmer gegangen war, verbrannte er Griffiths’ Briefe ungelesen und spülte die Asche in der Toilette runter. Als die schwarzen Überreste verschwanden, erfasste ihn ein Hochgefühl. Er hatte das Mädchen getötet und war trotz extremer Risiken davongekommen. Jetzt würden sie ihn nicht mehr finden, nicht mit seiner Fähigkeit, sein Aussehen zu verändern und in der Masse unterzutauchen. In nur wenigen Tagen würde er dieses Kapitel seines Lebens abschließen und ganz neu anfangen. Mit seiner Intelligenz, seinem guten Aussehen und seinem Charme würde das ein Kinderspiel werden.

Kapitel einunddreißig
    Nur das unberechenbare Wetter verhinderte, dass Nightingales Tage in öder Langeweile versanken. Wäre da nicht das Versprechen gewesen, das sie ihrer toten Halbschwester gegeben hatte, sie hätte die Farm längst verlassen, aber zuerst musste sie nun mal das Grab finden. Sie hatte voller Zuversicht angefangen, doch ihr Optimismus war inzwischen purer Entschlossenheit gewichen, während sie sich mit der Sense in der Hand methodisch vorarbeitete und niedergemähtes Grün hinter sich ließ, das allmählich gelb wurde.
    Mit ihrer New-Age-Einstellung hatte Lulu dem Baby eine christliche Beerdigung verweigert, aber Nightingale konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Mutter auch darauf verzichtet hatte, das Grab irgendwie zu markieren. Nach nunmehr achtundzwanzig Jahren mochte zwar alles verwittert sein, aber irgendetwas war bestimmt noch zu erkennen.
    Nightingale hatte ausgerechnet, dass sie bei ihrem Arbeitstempo mindestens dreißig Tage brauchen würde, um die ganze Umgebung der Farm zu durchforsten. Am neunten Morgen ihrer Suche wachte sie früh auf, aß ein üppiges Frühstück aus Obst, Eiern, Schinken und Toast und trat dann hinaus in den dampfenden Küchengarten. Es war erst sieben, doch die Sonne war schon heiß und die Luftfeuchtigkeit hoch. Nightingale trug Shorts, aber ein Arbeitshemd mit langen Ärmeln, um die Arme vor Dorngestrüpp und Brennnesseln zu schützen, die sich wehrten, wenn sie ihnen zu Leibe rückte.
    Sie beschloss, statt weiter systematisch vorzugehen, sich lieber auf Bereiche zu konzentrieren, die ihr wahrscheinlich erschienen. »Wahrscheinlich« hieß: Stellen, die ihrer Mutter vermutlich gefallen hatten. Sie hatte die Fotos studiert, die ihre Tante gemacht hatte, und sich drei auffällige Bäume und einen Bach mit flachen Felsen am Rand als Orientierungspunkte eingeprägt.
    Irgendwann gegen Mittag – sie trug schon längst keine Uhr mehr, aber die Schatten waren kurz – ließ Nightingale sich unter einer alten Eberesche nieder. Wie jeden Morgen hatte sie noch nicht viel geschafft, aber zumindest hatte sie nicht in der prallen Sonne arbeiten müssen. Sie aß ihren Lunch, genoss das salzige Aroma des Käses und die süßen Tomaten. Die Literflasche Wasser war leer, und sie saugte dankbar die Feuchtigkeit aus den roten Früchten, den Rücken gegen den warmen Baumstamm gelehnt. Anscheinend war sie ein Weilchen eingenickt. Die Schatten waren nämlich länger geworden, als sie die Augen aufschlug, und ihre Schultern waren steif. Mit einem leisen Ächzen stand sie auf und beschloss, als Nächstes das Gestrüpp am Bach zu lichten.
    Der Bach kam aus den Bergen hinter der

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