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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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Gnade. Er erinnerte sich daran, wie sie seine Berührungen zurückgewiesen hatte, dachte an ihre misstrauischen Blicke. Ein kleiner, primitiver Teil seines Hirns, uralt und ungebildet, überlegte, wie groß die Chancen waren, ihren Gurt durchschneiden zu können, ehe das Wasser den Wagen ganz ausfüllte. Gleich null. Dieselben Zellen seines Gehirns schätzten seine eigenen Überlebenschancen ein – möglich, wahrscheinlich.
    Er sah sie ein letztes Mal an, und der Anblick ihrer dichten schwarzen Haare, die auf dem Wasser trieben, zog ihn kurz in seinen Bann. Dann schüttelte er den Kopf, griff nach seinem Rucksack, kurbelte die Scheibe herunter und stemmte sich gegen die einflutenden frischen, kalten Wassermassen. Sobald die Öffnung groß genug war, schob er sich hindurch, nach oben getrieben von einem unbändigen Überlebenswillen. Obwohl er wusste, dass es physikalisch unmöglich war, hörte er hinter sich die Schreie seiner Mutter.
    »Alles klar, Kumpel?«
    Smith blickte auf, das Gesicht schweißglänzend. Ein Mann in seinem Alter, dessen Bierbauch der Schwerkraft Tribut zollte, hatte sich vorgebeugt und spähte ins Auto.
    »Ja, war nur ein bisschen in Gedanken.« Er versuchte ein Lächeln.
    »Aber du hast ziemlich jämmerlich ausgesehen. Du sitzt schon ’ne Ewigkeit so da, und wegen dem Verband und so hab ich schon gedacht, du hättest den Geist aufgegeben.«
    Diesmal klappte das Lächeln besser, und er sah die Erleichterung auf dem Gesicht des Mannes.
    »Mir geht’s gut. Vielen Dank noch mal.«
    »Da bin ich beruhigt. Passen Sie auf sich auf, ja?« Der Fremde klopfte zum Abschied zweimal aufs Autodach und ging davon.
    Smith schaffte es, die Wagentür zu schließen und ruckelnd anzufahren.
    Er hielt sich peinlich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzungen und fuhr wie bei einer Führerscheinprüfung. Als er endlich den Ort mit dem Internetcafé erreichte, war er in Schweiß gebadet. Es war fast Mittag, und es war heiß. Dankbar stieg er aus dem Wagen, stützte sich aufs Dach, schloss die Augen und wartete, bis sein Hemd getrocknet war. Es war sein letztes.
    Besucher durften nicht mit dem Wagen in den Ortskern von Clovelly fahren, eine Vorschrift, die den malerischen Charakter des Städtchens und die altmodische Atmosphäre seiner kopfsteingepflasterten Straßen bewahren sollte. Touristen konnten auf Eseln hinunter zu dem kleinen Hafen reiten. Smith entschied sich, zu Fuß zu gehen. Den Rucksack mit all seinen irdischen Gütern schnallte er sich auf den Rücken. Die Straßen wimmelten von Menschen. Es war schließlich August, Hochsaison, und Clovelly eine Touristenattraktion in Devon. Leute starrten ihn an, obwohl er nur noch wenig Verbände trug. Eigentlich waren sie eine gute Tarnung. Sein Bild prangte auf den Titelseiten der Zeitungen, aber er war, wie er fand, schlecht getroffen. Er sah darauf aus wie eine Ratte, Augen zu eng beieinander, Nase zu dünn und spitz und ein fliehendes Kinn, nicht die geringste Ähnlichkeit. Er lächelte und setzte seine Sonnenbrille auf.
    Als er auf der Titelseite der Sun ein Foto von Wendy erblickte, blieb er wie angewurzelt stehen, sodass jemand fluchend mit ihm zusammenstieß. Er ging in den Laden und kaufte die Zeitung. Der dazugehörige Artikel war auf Seite fünf: Gesucht wurde Wendy Smith, vierundzwanzig, die seit dem Vortag aus ihrer Wohnung in Birmingham verschwunden war. Die Polizei vermutete, dass sie unter falschem Namen mit ihrem Vetter, siebenundzwanzig Jahre alt, ein Meter dreiundachtzig groß, unterwegs war, es könne sich aber auch um eine Entführung handeln.
    Smith fühlte sich schwach. Sein Kopf brummte. Er redete sich ein, das komme von den Verletzungen, weil er sich nicht eingestehen wollte, dass er Panik hatte. Wie war die Polizei bloß auf Wendy gekommen? Griffiths, wer sonst! Der sang anscheinend wie ein Kanarienvogel, weil sie ihm Strafmilderung versprochen hatten. Dieser Dreckskerl! Na, er hatte dafür gesorgt, dass er elendig leiden würde, bevor er starb. Und wenn er diese Polizistin getötet hatte, würde er mit ihrem Blut an die Wand schreiben, dass ihre Hinrichtung im Auftrag des Gefängnisinsassen Wayne Griffiths erfolgt war.
    In einem Souvenirgeschäft kaufte er eine Baseballmütze. Wenn er sie tief in die Stirn zog, lag fast sein ganzes Gesicht im Schatten. Etwas beruhigter trottete er den Berg hinunter und betrat das Internetcafé.
    Anstatt direkt zu einem PC zu gehen, blieb er an der verzinkten Ladentheke stehen und beobachtete den jungen

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