Crescendo
ging aus dem Zimmer, ohne die Erlaubnis abzuwarten. Fenwick sprang auf.
»Nightingale!« Sie hielt nicht mal einen Moment inne.
»Lassen Sie’s gut sein, Andrew. Weiß der Himmel, was in sie gefahren ist. Je eher sie wieder in eine normale Umgebung kommt und nicht mehr mutterseelenallein vor sich hin grübelt, umso besser. Weiber!«
Fenwick zog die Augenbrauen hoch, und Quinlan lachte.
»Ich weiß. So was darf ich heutzutage nicht mehr sagen, aber glauben Sie mir, sie sind eine Spezies für sich.«
»Tja, ich will weiß Gott nicht behaupten, dass ich sie verstehe, aber irgendwas stimmt da nicht.«
»Für mich liegt der Fall auf der Hand: Sie hat ihre Eltern verloren, wäre fast einem Serienvergewaltiger zum Opfer gefallen und dann passiert auch noch die Sache mit den Jugendlichen, ausgerechnet, wo für sie alles wieder halbwegs normal läuft. Ach, und sie hat keinen Freund. Ein netter Mann würde ihr schon die Flausen austreiben.«
»Du lieber Himmel, Sir. Passen Sie auf, was Sie sagen. Und außerdem«, Fenwick runzelte nachdenklich die Stirn, »kann ich mir das eigentlich nicht vorstellen. Eine so attraktive Frau wie Nightingale hat doch bestimmt an jedem Finger zehn. Wieso ist sie allein?«
»Was weiß ich. Ich sag ja, Weiber, aus denen wird keiner schlau.«
Nightingale starrte auf das verkratzte Holz ihres ramponierten Schreibtisches und versuchte angestrengt, einen klaren Gedanken zu fassen. Man – er – wollte sie nicht mehr in Harlden haben. Als der Superintendent beim ersten Mal von Versetzung gesprochen hatte, hatte sie das als kurzlebige Überreaktion auf den Medienrummel im Fall Griffiths betrachtet, aber das war ein Irrtum gewesen. Man wollte, dass sie ging, und der Gedanke war ihr unerträglich.
Was glaubten die eigentlich, was sie alles mit sich machen ließ? Für ihre Vorgesetzten war Harlden lediglich eine Sprosse auf der Karriereleiter, die man bereitwillig hinter sich ließ. Aber sie irrten sich gewaltig, Harlden war nicht nur ein Job, Harlden war ihr Leben. Denn hier arbeitete Fenwick. Auch wenn er eine Beziehung mit Claire Keating hatte – es hieß, sie habe sich sehr hartnäckig um ihn bemüht –, die Geschichte musste nicht von Dauer sein.
Ihr Gesicht fühlte sich heiß an. Vielleicht sollte sie lieber nach Hause fahren. Blackie hatte bestimmt schon wieder Hunger. Der Kater war ein nicht mal besonders hübscher Nimmersatt und ließ sie einfach nicht in Ruhe. Obwohl er deutlich zeigte, dass sie für ihn nur eine praktische Verköstigungsstätte darstellte, war er ihr in den letzten zwei Wochen trotz ihrer anfänglichen Angst ans Herz gewachsen. Sie musste immer schmunzeln, wenn er vor ihrer Wohnungstür hockte oder draußen vor dem Haus in den Blumenbeeten herumstromerte. Natürlich wusste sie, dass ihr Bedürfnis, gebraucht zu werden, und wenn es nur von einem bestechlichen Tier war, bemitleidenswert war, aber zumindest war sie so ehrlich, sich das einzugestehen.
Jemand wünschte ihr alles Gute, als sie den Raum verließ. Eine Stimme rief ihr zu, sie solle sich schonen. Ihr Gesicht nahm die Form eines Lächelns an. Zu Hause machte sie Tee und zwang sich dann, den Anrufbeantworter abzuhören. Ihr graute davor, wieder nur Schweigen zu hören. Inzwischen lag etwas Bedrohliches darin. Vielleicht bildete sie es sich ja nur ein, aber irgendwie spürte sie, dass sich die Art des Schweigens verändert hatte.
Blackie stupste mit dem Kopf gegen ihre Wade, und sie machte ihm eine Schüssel mit Milch und Corned Beef zurecht. Sie fand den Geruch von Katzenfutter widerlich, aber Blackie aß alles, Hauptsache es war Fleisch. Mrs Coopers Rindfleischpasteten waren seine Lieblingsspeise. Es war ein tröstlicher Anblick, wenn er genüsslich vor sich hin kaute, vorzugsweise auf der Seite des Mauls, wo er noch alle Zähne hatte.
Als sie ihm sein Fressen auf einer alten Zeitung hinstellte, klingelte das Telefon und sie zuckte zusammen.
»Hallo.«
Sie hörte das vertraute leise Atmen am anderen Ende der Leitung, aber diesmal vernahm sie im Hintergrund Verkehrsgeräusche und den unverkennbaren Hall eines Handys.
»Hören Sie, das wird allmählich öde. Sie langweilen mich zu Tode.« Sie legte auf und fragte sich erneut, ob sie sich eine Geheimnummer geben lassen sollte.
Blackie kletterte zu ihr auf den Schoß, als sie sich setzte und den Anrufbeantworter ganz abhörte. Vier weitere stumme Anrufe. Der Kater maunzte protestierend, als sie aufstand, und kratzte an der Tür, weil er rauswollte. Er
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