Crime
runterzuspülen. Während der ganzen Zeit hält er sich zwischen dem Mädchen und dem Tisch. Als sie durch die mütterliche Zuwendung abgelenkt ist, legt Lennox die Perfect Bride über die weißen Streifen. Und sieht erneut, wie Starry sich über Robyn mokiert.
– Ich konnte nicht schlafen, sagt das Mädchen,– ich hab gehört, wie ihr reingekommen seid. Sie schaut wieder zu Lennox und stupst dann nach Bestätigung suchend ihre Mutter an.
– Das ist Ray, Schätzchen. Ray ist ein Freund aus Schottland.
– Wo die Männer Röcke tragen, lacht Starry,– stimmt’s, Ray?
– Genau. Lennox ignoriert sie und mustert weiter das Mädchen. Ihre Arme und Beine sind im Verhältnis zum Körper zu lang. Die Haare sind zottelig, und sie scheint nur aus spitzen Knochen zu bestehen. Eine Art linkisches hässliches Entlein. Aber die Augen … er meint, kurz ein scheußliches Wissen in ihnen aufscheinen zu sehen. Eine Sekunde lang kommt Lennox die bange Ahnung, dass sie die ganzeWelt um Hilfe anrufen. Dann ist es schon vorbei, und sie ist nicht mehr als ein übermüdetes Kind, dem Zuwendung, Geborgenheit und Schlaf fehlen.
– Nu aber mal ab ins Bett mit dir, verstanden, Schätzchen?, sagt Robyn.
Das Mädchen hopst irgendetwas murmelnd davon und winkt noch flüchtig zurück, ohne sich umzudrehen. Sie hat noch nicht ganz das Zimmer verlassen, da wechselt Starry schon die CD und dreht die Lautstärke auf, und kubanische Musik erklingt. Lennox’ Kenntnisse dieses Genres beginnen und enden bei Buena Vista Social Club ; den hatte er sich mit Trudi angesehen, die ihm auch die CD geschenkt hat. Ihm hatte sie gefallen, obwohl es ihm peinlich war, als Ally Notman, der dynamische Jungbulle mit Aufreißertendenzen, den er in seinem Team hatte, sie erspähte und ihn als Guardian lesenden Liberalen verhöhnte. Einige der Jungs waren damals noch auf einen Absacker mit zu ihm gekommen. Er erinnert sich an Dougie Gillman mit seinen eiskalten Fischaugen, seiner verdrießlichen, besorgniserregenden Nemesis, wie er sich den ganzen Abend an sie gehängt hatte. Doch diese Musik ist vollkommen anders. Mit ihren prägnanten Beats, den dramatischen Streichern und den gedämpften Blechbläsern ist es die traurigste Musik, die er je gehört hat. Obwohl in Spanisch gesungen und angeblich aus Kuba, klingt es, als sei sie genau hier entstanden, in diesem Teil von Miami. Er widersteht der Versuchung, sich nach dem Interpreten zu erkundigen; es wäre besser für ihn, die Musik in ihrer schrecklichen Schönheit nie wieder hören zu müssen.
Sporadisch muss er an Trudi denken. Was sie wohl gerade macht? Im Hotelzimmer? Gibt sich wahrscheinlich einer ihrer beiden gleichermaßen überstrapazierten Reaktionen hin: »krank vor Sorge« oder »ich scheiße auf dich«. Vielleicht auch beides zugleich.
– Ist das eine Scheiße, flüstert Lennox und lässt sich mit einem melancholischen Lacher aufs Sofa fallen, bevor Starry angetanzt kommt und ihn wieder auf die Beine zieht. Sie tanzen eine Weile miteinander, bis Robyn sich dazwischenschiebt. Die Frauen machen auf extra-sexy. Er spekuliert auf die Möglichkeit eines Dreiers. War es nicht genau das, was er brauchte, um seine Männlichkeit wieder zu spüren: Extreme Situationen erfordern extreme Maßnahmen? Das letzte Mal, als Job und Drogen ihn an Leib und Seele verstümmelt hatten, hatte es geholfen. Aber zwischen Starry und Robyn knistert es mittlerweile unangenehm. Sie machen sich jetzt ganz unverhohlen erbittert Konkurrenz um ihn. Sie reiben sich an ihm, sprechende Blicke, vor Verlangen geweitete Augen, beide mit aggressiv gebleckten Zähnen. Er muss an gestern im Torpedo denken. Er fühlt, wie Robyn sich dichter an ihn drängt, die Arme um seinen Hals legt. Sie hängt an ihm wie ein Anzug von Oxfam, ein kühner Versuch, Starry auszumanövrieren.
Dann klingelt es an der Tür, und während Lennox registriert, dass neue Leute gekommen sind, nehmen seine Nasenflügel den Geruch von Robyns Haar wahr, obwohl in ihnen die Rotze blubbert. Der Koks-Kick synchronisiert sich mit Rhythmus, Alkohol und Jetlag. Eine Welle der Erschöpfung, bei der ihm fast die Luft wegbleibt, droht ihm die Augen aus dem Kopf zu drücken. Er schließt sie für Sekunden oder Minuten und betrachtet die explodierenden purpurroten Flecken, die durch das Universum seines Schädels wirbeln.
Dann spürt er, wie Robyn sich von ihm löst. Er öffnet die Augen und sieht sich einem zerfurchten, grauen Gesicht gegenüber, mit kurzem, grauen Haar,
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