Crime
steigen in eins der drei wartenden Taxis, und Robyn hustet in ihre Zigarette, bevor sie dem misstrauisch guckenden Fahrer mit krächzender Raucherstimme eine Adresse nennt, die für Lennox vorn auf dem Beifahrersitz ausschließlich aus Zahlen zu bestehen scheint. Eine kleine Flagge hängt am Rückspiegel, Lennox vermutet, dass es die von Puerto Rico ist. Der Cop in ihm folgert blitzschnell, dass Polizist oder Feuerwehrmann in Miami wahrscheinlich nicht die gefährlichsten Jobs waren. Bei Taxifahrern dagegen, die meisten sozialschwache Einwanderer, war ein gewaltsamer Tod wahrscheinlich eine Berufskrankheit. Die Nachttankstellen funktionierten um diese Zeit vornehmlich per Selbstbedienung, und die Kassierer in den Mini-Märkten würden ausnahmslos in kugelsicheren Kabinen eingeschlossen sein, die Läden selbst vermutlich mit Einwurftresoren ausgestattet. Aber auf diesen menschenleeren Straßen mit Wildfremden Bargeldgeschäfte zu machen, musste ein besonders riskantes Unternehmen sein.
Sie fahren weiter durch einen trostlosen Teil der Stadt; man sieht keine Wohnhäuser, es scheint überall nur Billigschrott verkauft zu werden. Versiffte Geschäfte mit Stahlrollläden gibt es zuhauf, aber Lennox hat bis jetzt noch keine einzige Bar oder irgendetwas anderes gesichtet, das so etwas wie Nachtleben verspricht. Er wird unruhig, weil er findet, er sei weit genug gefahren, und er die Nervosität des Fahrers hinter seiner Perspex-Trennscheibe spürt. Schrille Stimmen verraten ihm, dass Robyn und Starry sich auf derRückbank streiten. Es ist von einem toten Kind die Rede. Starrys Sohn. Es verbrennt ihn innerlich. Er blendet sie aus und konzentriert sich ganz auf die Stadt um ihn herum. Das richtige Miami scheint ein ganz anderer Fall als Miami Beach zu sein: Die Stadt besteht vornehmlich aus Hochstraßen wie der, über die sie gerade rauschen, und für eine Weile sieht es so aus, als würden sie zum Flughafen fahren. Dann zweigen sie plötzlich von der Betonader ab, einen steilen Zubringer runter und in ein Viertel in der Nähe der 17 th Street. Es ist, als stolpere man vom Rand der einen Welt in eine völlig andere.– Willkommen in Little Havana, sagt Starry, eine geschwungene Braue hochziehend, und damit kommt ihre gute Laune zurück, die ihr, wie es Lennox schien, nach dem Vorfall mit dem komischen Kerl abhandengekommen war.
– Eigentlich fängt Little Havana erst weiter südlich an, sagt Robyn leicht vergrätzt.– Es ist mehr so Riverside.
– Quatsch: du willst bloß nicht, dass die Leute wissen, dass du in nem Kubanerviertel wohnst, widerspricht Starry ihr halb scherzend und borgt sich den Latina-Akzent von Rosie Perez.
– Halllo-ooo, meint Robyn.– Das hier ist Miami. Jedes Viertel hier ist ein Kubanerviertel.
Lennox bekommt Zahnschmerzen bei Robyns Epitheton »Riverside«. Zu Hause in Edinburgh hatten die Stadtplaner versucht, Leith und die anderen Viertel am Fluss zu Edinburghs »Waterfront« umzuetikettieren. Da Leith mit dem Hibernian Football Club assoziiert wurde und er schließlich Hearts-Fan war, sprach er gerne vom »Waterfront District«, wenn die Rede auf seine neue Wohnung kam.
– Siehste, sagt Starry zu ihm,– ihr Gringos kennt nicht mal den Unterschied zwischen den Latino-Vierteln.
Lennox muss zugeben, dass er in den schlecht beleuchteten, gleichförmigen Straßen, durch die sie fahren, nichtssieht, das sie von anderen unterscheidet. Die Gegend wirkt nicht direkt wohlhabend, ist aber auch kein Getto. Es sind zumeist einstöckige Wohnhäuser. Als sie durch die Seitenstraßen fahren, sieht er näher hin und erkennt im Licht aus den Fenstern und von den beleuchteten Veranden, dass keine zwei Häuser gleich sind. Einige der Gärten und Vorgärten sind liebevoll, beinahe übertrieben gepflegt. Andere sind Müllkippen. Lennox vermutet, dass es sich um eine Mischung aus Wohneigentum und Mietobjekten handelt. Robyns Haus ist allerdings anders: eine bewachte Wohnanlage, die stuckverzierte Fassade in blassorange gehalten und mit Scheinwerfern angestrahlt, dazu eine Auffahrt mit Parkmöglichkeiten. Die Aluminiumtafel der Gegensprechanlage zeigt zwölf Wohnungen, was ebenso viele Briefkästen in der schlichten, zweckbetonten Eingangshalle, die sie bei gedimmtem Nachtlicht durchqueren, bestätigen.
Er ist von Edinburgh den Anstieg auf steilen Mietskasernentreppen gewohnt, doch sein aufgepeitschter Gehirnstoffwechsel und die geringe Höhe der gefliesten Stufen hier lässt ihn mit großen, federnden
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