Crime
Schritten immer zwei auf einmal nehmen. Robyns Wohnung liegt ganz oben, zwei Stockwerke über dem Erdgeschoss. Sie kramt einen Schlüssel aus dem Chaos in ihrer Handtasche und flüstert:– Pst, während sie die Tür aufschließt. Lennox spürt, wie Starry ihm die Hand auf den Hintern legt. Er duldet sie einen Moment, dann löst er sich und geht durch die Diele, vorbei an einem Telefontischchen, über dem ein großes Whiteboard voller Telefonnummern und Nachrichten hängt. Er kann nicht hinsehen, wendet sich abrupt ab und geht durch in ein Wohnzimmer, dessen Mobiliar aussieht, als hätte Robyn es gleich mitgemietet: Das schwarze Ledersofa mit brauner Wolldecke nebst passenden Sesseln stammen aus dem einen Möbelmarkt der goldenen 80erJahre, der offenbar in jeder Stadt, in der er je war, sämtlicheMietwohnungen bestückte. Das Ganze steht auf einem Boden aus Eichendielen, davor eine Brücke, die teurer aussieht, als sie vermutlich war. Auf einem Couchtisch aus Rauchglas stapeln sich Zeitschriften; das grelle Licht der Deckenbeleuchtung, das sich in diesem Kokainaccessoire spiegelt, scheint ihn herausfordern zu wollen. Ein von einer Lichterkette umrahmter Mauerdurchbruch führt in eine kleine, terrakottagekachelte Küche.
– Nett hier, kommentiert Lennox.
Robyn erzählt ihm, sie wohne hier seit einem Jahr. Sie sei aus dem Süden von Alabama und auf der Suche nach Arbeit mit ihrer Tochter– ›Tach– taaaa‹ klingt es für seine Ohren– zuerst nach Jacksonville umgezogen. Nachdem sich dort nichts mehr für sie fand, hätte sie sich einfach weiter Richtung Süden bewegt, zuerst nach Surfside, wo sie kurze Zeit in einer Altenwohnanlage gearbeitet habe, und dann hierher. Die Miete sei bezahlbar und ihr Arbeitsplatz in einer Tagesstätte gut zu erreichen gewesen.– Aber ich musste die Stelle dort aufgeben, sagt sie bedauernd,– um mehr Zeit für meine Tochter zu haben.
– Wie alt ist sie denn?
– Zehn. Sie errötet vor Stolz und geht dann nach dem Kind sehen.
Lennox sieht den Blick abgrundtiefer Bosheit, den Starry ihrer Freundin nachwirft, so giftig, dass sie kurz nervös wird, weil er es mitbekommen hat. Sie wirft trotzig den Kopf in den Nacken und schürzt ihre glänzend geschminkten Lippen.
Robyn kommt zurück, zieht die Wohnzimmertür hinter sich zu.– Schläft fest, erklärt sie erleichtert. Sie erzählt ihm, dass ihre Tochter in der Schule Probleme hatte. Die meisten anderen Kinder sprächen zu Hause und auf dem Schulhof Spanisch, daher fühlte sich Tianna, so hieß sie, ausgegrenzt.– Sie ist in letzter Zeit immer so verschlossen, sagt Robyntraurig, dann bemerkt sie Starrys missbilligenden Gesichtsausdruck und schaltet schnell auf Gutgelaunt um,– aber, he, das hier ist eine Party. Stimmt’s?
– Stimmt, bestätigt Lennox, lässt sich aufs Sofa fallen und bemerkt dabei einen dunklen Fleck auf dem Holzboden, halb verdeckt von der Brücke. Er will schon eine Bemerkung machen, ruft sich aber schnell zur Ordnung. Es war schließlich eine Party, und er machte Ferien. Morduntersuchung, nein. Hochzeitsplanung, nein. Ferien, ja.
Starry wirft erneut einen verächtlichen Blick zu Robyn, die sich von Lennox abgewandt hat und mit dem CD – Player beschäftigt ist. Er folgt ihr mit den Augen, um Starrys raubgierigem Blick auszuweichen. Robyns schmaler, angespannter Nacken erinnert ihn abartigerweise an den seines Vaters bei ihrer letzten Begegnung. Sie legt eine CD ein, und als die seichte Popmusik anfängt, steht sie auf und zieht ihn auf die Beine. Die Musik ist nichtssagend, weich gespülte Neuauflagen alter Rock-’n’-Roll-Standards fluten das Zimmer, und Lennox muss an seinen alten Kumpel Robbo, einen großen Softrock-Freund, an Supermärkte und Aufzüge denken.
Robyn kommt in seine Arme, und beim Engtanzen spürt er die Gülle aus ihrem Kopf überschwappen. Die unappetitliche Schmierigkeit, in den sie ihn hineinzieht wie in einen schweren Mantel, droht ihn zu ersticken. Er reagiert reflexartig auf den verkniffenen Mund, den sie auf seine pelzigen Lippen presst; auf Koks ist ihr Aschenbecheratem gerade noch erträglich. Ihre Augen sind so glasig und tot wie bei Marjorie, der Lieblingspuppe seiner älteren Schwester Jackie. Lennox erinnert sich, dass er als kleines Kind Marjorie »geliebt« hat und »heiraten« wollte, dass er mindestens so verrückt nach der Puppe gewesen war wie seine herrschsüchtige Schwester.
Er hatte Trudi diese Geschichte mal erzählt.– Du willstalso Frauen als willenlose
Weitere Kostenlose Bücher