Crimson - Teuflische Besessenheit (German Edition)
hatte, langsam schwanden. Und das alles in einer verdammt kurzen Zeit. Ein Hauch von Trauer kam auf, der eher einem Orkan glich.
Ich wusste nicht, wie lange ich dort gestanden hatte – vielleicht zehn Minuten, möglicherweise auch etwas länger. So sehr beindruckte mich dieses gewaltige Bauwerk, als plötzlich ein Horn hinter mir ertönte, welches ich sofort dem Hupsignal eines Trucks zuordnen konnte. Dieser laute Krach weckte mich endlich aus dem seltsamen halbwachen Dämmerzustand, der mich hier in der Kälte heimgesucht und mich fast dazu getrieben hatte, nichts mehr aus meiner Umgebung wirklich wahrzunehmen. Grauenvoll!
Neben meinem Wagen stand ein schwarzer Laster, der etwas transportierte, das aussah, als wäre es ein Stück dieser Pipeline hier.
»Ist alles in Ordnung?«, rief der Fahrer des Trucks, der die Beifahrertür geöffnete hatte und nach mir schaute. Welch nette Geste! Er trug eines dieser typischen Trucker-Caps, auf dem »beyond petroleum« stand.
»Ja, alles bestens«, antwortete ich ihm. »Ich bestaune nur diese Pipeline. Sie ist schon gewaltig.«
»Sie sagen es. Ich wollte nur sehen, ob Sie vielleicht mit dem Wagen stehen geblieben sind. Eine Versorgung ist erst ab der nächsten Station möglich, und bis dahin sind es noch knapp zweihundet Meilen.«
»Hundertfünfundsiebzig«, rief ich ihm entgegen, und ich musste zugeben, dass meine Genauigkeit nicht daher kam, dass ich den Trucker eines Besseren belehren wollte, da er sich sicher besser auskannte als ich. Nein, der Grund war, mich selbst zu beruhigen. Jede Meile weniger bedeutete eine weitaus geringere Gefahr, an dieser Abgeschiedenheit zu ersticken.
»Sagen Sie, wo liegt Slate Creek? Ich kann es auf diesem Verkehrsschild nicht finden?«
»Slate Creek ist der alte Name der Versorgungsstation Cold Feet.«
»Cold Feet? Weshalb diese Umbenennung?«
»Nun, der Name stammt daher, dass der Ort früher ein Goldgräberdorf war, und eine alte Geschichte erzählt davon, dass die Siedler von dort irgendwann einmal geflüchtet sind, sie haben sozusagen ›kalte Füße‹ bekommen. Doch wir Trucker, die diese Route tagtäglich fahren, nennen sie nach wie vor Slate Creek. Fragen Sie mich nicht, weshalb, es ist einfach so.«
»Verstehe«, gab ich ihm nickend als Antwort. »Wohin fahren Sie?«
»Nach Prudhoe Bay, ans Ende der Welt«, grinste er. »Wenn ich Ihnen aber noch einen Rat geben darf?«
»Sicher, schießen sie los.«
»Sie sollten nicht so nah an der Pipeline stehen, dort tummeln sich oft wilde Tiere, selbst Grizzlys sind hier keine Seltenheit.«
»Geht klar, ich bin auch gleich wieder weg.«
Während er die Fahrertür wieder schloss, losfuhr und einiges an Schnee aufwirbelte, gab er mir noch ein Handzeichen, was wohl »Machen Sie es gut« bedeutete. Mit einem letzten Signal seines Horns verschwand er im Nebel und in der immer weiter fortschreitenden Dunkelheit, die sich mit rasender Geschwindigkeit über das Land legte.
Ein paar Mal atmete ich noch tief durch, ließ noch einige Minuten verstreichen, stieg wieder in den Wagen, blickte noch einmal zur Tafel, prägte mir die Zahl hundertfünfundsiebzig ein, verglich sie mit meinem Meilenstand, und fuhr los.
Mit Gefühlen der Einsamkeit, die groteskerweise mit Warmherzigkeit vermischt waren, trotzte ich dieser Straße. Ich war mir sicher, dass mich nun niemand mehr aufhalten konnte. Meine innere Kraft schien zurückgekehrt zu sein. Woran dies genau lag, konnte ich nicht sagen. Eine Möglichkeit war, dass mein Wille zum Leben in dieser tödlichen Umgebung stärker wurde – eine Art von Überlebenstrieb. Es konnte aber auch die Gewissheit sein, weit von den Chlysten entfernt zu sein und dass sozusagen ihr Einflussbereich hier endete. Oder aber war die Abgeschiedenheit der Grund, der mir diese Kraft zurückbrachte. Wer weiß?
Ich verglich meine Situation mit der von Jesus, als er in der Wüste in völliger Einsamkeit dem Teufel trotzen musste, oder gar von Moses, als er wochenlang auf dem Berg Sinai allein verbracht hatte. Doch sicher hatten wir drei eine Gemeinsamkeit: Wir spürten die Nähe Gottes!
Während meiner stundenlangen einsamen Fahrt konnte ich keinen klaren Gedanken zu Ende führen. Es glich einem Chaos, wie es in der Offenbarung der Bibel bestens beschrieben wurde. Ebenso dachte ich über das Vergangene nach und an den ersten Tag, den ich hier in diesem Land verbracht hatte und den ich im Nachhinein als eine Art von Beginn des Weltuntergangs betrachtete: Jeder verfluchte
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