Crimson - Teuflische Besessenheit (German Edition)
Straße abkommen wollte. Der Schnee hatte die gesamte Strecke überdeckt, oft war es am Rande der Autobahn verdammt abschüssig, und ich konnte mir mehr als sicher sein, dass man von dort unten keine Chance mehr hatte, ohne jegliche fremde Hilfe wieder nach oben zu kommen. Das wollte ich auf gar keinen Fall riskieren.
Diese Straße war wie ein Weg ins Nichts. Laut Anzeige hatte ich bereits fünfzig Meilen auf dem Dalton Highway zurückgelegt, und es kam mir vor, als wäre ich noch keine fünfzig Yards gefahren. Ja, ab und zu sah man die Berge auf der einen Seite und kurze Zeit später auf der anderen, jedoch blieb eine wirkliche Umgebungsveränderung aus. Zum Teufel auch, wo hatte mich Parker nur hingeschickt?
Die schneebedeckten Nadelbäume der naheliegenden Wälder leisteten den besten Beitrag für die öde Atmosphäre. Hier war wohl der Herstellungsort der menschlichen Einsamkeit.
Ich schaltete meine Nebelleuchte ein. Der Lichtkegel war verfolgbar, der dichte Nebel leitete ihn bestens. Stur und gedankenlos fuhr ich weiter, immer die Straße entlang, vorbei an den dichten Wäldern, direkt nach Norden, immer näher auf den Polarkreis zu, in Richtung des arktisches Meeres.
Es verging noch über eine weitere geschlagene Stunde auf dieser von Gott und den Menschen verlassenen Straße, bis erneut ein Schild auftauchte, das ebenso mit allerhand Schnee bedeckt war. Die weiße Schrift auf der Tafel war dennoch gut lesbar. Ich bremste ab und kam zum Stillstand.
Ohne die stetigen Geräusche meiner Reifen, die sich während der Fahrt tief in den Schnee gepresst hatten, wurde es plötzlich richtig still um mich herum. Es war ein seltsames Gefühl. Diese schlagartige Stille und der Anblick des Schildes in völliger Abgeschiedenheit hier inmitten im Nirgendwo, ließen ein melancholisches Gefühl in mir aufsteigen. Die Leere, das Verlassensein und die Einsamkeit in Verbindung mit diesem unendlichen Schweigen waren wie ein Symbol für die eigene Seele: Nur das eigene Ich zählte hier draußen. Es war geisterhaft.
Auf dem Highway-Schild stand Folgendes:
Yukon River 56
Cold Feet 175
Dead Horse 414
Sollten dies etwa Meilenangaben sein?
»Verflucht«, rief ich aus und schaute mich um, was aber leider nicht viel brachte. Die Suppe, die hier vorherrschte, verhinderte jegliche Weitsicht.
In Gedanken voller Ärger entdeckte ich etwas auf der rechten Seite. Ich war mir nicht sicher, ob es das war, was ich mir dachte, und deshalb entschloss ich mich spontan, dem nachzugehen, trotz meiner knapp bemessenen Zeit.
Ich stieg aus. Die Kälte war klirrend, und trotz meiner dicken Polizeijacke fror ich. Während ich auf das Objekt zuging und mich ein wenig warm rieb, roch ich die Luft und stellte fest, dass hier die Natur noch absolut unberührt war; rein und unschuldig.
Plötzlich vernahm ich ein Geräusch direkt vor mir. Ich stockte und starrte in die Richtung, in der ich die Quelle dieses Lautes vermutete, welcher einem Schneestapfen oder einem Scharren glich.
Als es schließlich zum Vorschein kam, überkam mich eine Erleichterung, die meinem Herz wieder den Befehl zum Normalschlag gab. Es handelte sich um ein Karibu, welches wir als Rentier bezeichnen – quasi die Schlittenhunde von Santa Claus, und schließlich war heute der Heilige Abend. Wie oft hatte ich mir als Kind gewünscht, solch ein Rentier zu sehen.
Nachdem das Tier mich ebenso entdeckt hatte, hob es leicht den Kopf, starrte mich an, und lief langsam von dannen, weit in die Wildnis zurück, bis ich es nicht mehr sehen konnte. In meinen Gedanken stellte ich mir vor, dass es jetzt zum Weihnachtsmann lief, um vor den Schlitten gespannt zu werden. Es war der einzige warme Gedanke hier draußen, und gerade hier konnte man froh sein, sich an überhaupt etwas klammern zu können.
Ich ging noch ein paar Schritte, und langsam zeichnete sich das vor mir ab, was ich vorher im Wagen vermutet hatte: Die Trans-Alaska-Pipeline! Welch ein Anblick! Ich wusste, dass dieses Ding weit über achthundert Meilen lang war und sich komplett durch das ganze Land zog. Ich war völlig fasziniert von der Tatsache, dass ich direkt vor der längsten Pipeline der Welt stand, und ich musste zugeben, dass sie weitaus beeindruckender war, als das Fisher Building in Detroit.
Detroit! Ich wiederholte ein paar Mal dieses Wort. Der Name kam mir mehr und mehr wie ein Fremdwort vor. Widerwillig nahm ich zu Kenntnis, dass meine Erinnerungen an die Stadt, die ich einst als Heimat bezeichnet
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