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Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Titel: Cristóbal: oder Die Reise nach Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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allerletzten Ansturm vor. Höre: Die Hunde bellen.

 
     
     
     
    Aus heiterem Himmel, ohne dass sich diese Schrulle irgendwie angedeutet hätte, beschloss mein Bruder, dass für ihn die Stunde gekommen sei, sich eine Frau zu nehmen.
    Hatte ihn die tägliche Arbeit über unseren Pergamenten in Wallung gebracht? Es hieß, aus unseren Tinten würden Ausdünstungen aufsteigen, die einen zur krankhaften Jagd nach einsamen Lustbarkeiten verleiteten. Man sagte auch, das ständige Kratzen unserer Federn auf den Karten reize die Nerven bis zum Wahnsinn. Vom vielen Zusammenkneifen der Augen beim Beschriften der Häfen und Kaps entlang all diesen Küsten mit winzigen Namen bekämen Kartographen Halluzinationen, und zwar meistens von nackten Frauen…
    Oder sollte man nur die Lissabonner Gewürze und den Vinho Verde aus Porto verantwortlich machen?
    Ich glaube vielmehr, der Grund für seinen Vorstoß war anderswo zu suchen, nicht in sinnlicher Ausschweifung, sondern ganz im Gegenteil in einer vernünftigen Mäßigung. Mein Bruder wusste schon immer, dass ein kleiner Genuese wie er ohne Geld und ohne Unterstützung seine großen Vorhaben niemals würde in die Tat umsetzen können.
    «Und wir werden damit anfangen, Latein zu lernen.»
    Einmal geruhte er, mir ohne Scherz seine Gedankengänge zu erklären:
    «Erstens können wir dann mit besserer Kenntnis in der Sacheam Gottesdienst teilnehmen und so Gott besser ehren. Außerdem können wir die für das Unternehmen nötigen Werke leichter lesen, ohne dass sich jemand einmischt. Schließlich kann der Ruf, ein guter Lateiner zu sein, mein Heiratsvorhaben nur befördern: Seemänner, vor allem Genueser, erscheinen dem Adel häufig recht ungeschliffen.»
    «Du willst eine Aristokratin?»
    «Wozu sonst heiraten?»
    «Und warum willst du, dass ich mit dir lerne?»
    «Zu deiner persönlichen Bildung. Und damit man sich schwerer damit tut, mein Spiel zu durchschauen.»
    «Vere dignum et iustum est, aequum et salutare, nos tibi semper, et ubique gratias agere…»
    Ein Priester der Kirche Igreja São Julião gab an bestimmten Abenden unter der Woche Unterricht. Die anderen Schüler der kleinen Klasse waren fünf Schwarze. Das Episkopat hatte sie aufgrund ihrer Klugheit ausgesucht. Man hatte sie den wahren Glauben gelehrt, und nun bereitete man sie darauf vor, selbst Priester zu werden, um sie nach Afrika zurückzuschicken, damit sie ihre wilden Brüder bekehrten.
    Um uns an die Wortstellung im Satz zu gewöhnen, ließ uns der Lehrer zuerst den folgenden, leichten Satz wiederholen: «Vere dignum et iustum est (…) gratias agere.»
    «Es ist wahrlich würdig und gerecht, es ist unsere Pflicht und unser Heil, Dir immer und überall zu danken, Herr…»
    Ich weiß nicht, aus welchem in den Geheimnissen ihrer Rasse verborgenen Grund diese Ausdrucksweise bei unseren afrikanischen Mitschülern Heiterkeit auslöste.
    Verdutzt war der Priester anfangs fortgefahren.
    «In quo nobis spes beatae resurrectionis effulsit, ut quos contristat certa moriendi conditio, eosdem consoletur futurae immortalitatis promissio.»
    Dieser Hinweis auf den sicheren Tod und auf das Versprechen der Unsterblichkeit steigerte die Heiterkeit der künftigen schwarzenMissionare noch mehr. Ihr kehliges Gelächter hallte unter dem Kirchengewölbe wider zum großen Entsetzen und zur Entrüstung einer Schar alter Frauen, die regelmäßig zum Abendgebet kamen. Dann begannen sie zu glucksen, als ob sie Puten geworden wären, und ihre Leiber schüttelten sich in obszönen Wellen.
    Der Priester, ein kleiner, schmerbäuchiger Mann, schimpfte auf die Obrigkeit. Er nahm uns zu Zeugen, meinen Bruder und mich, die einzigen Weißen in der Gruppe: «Nur ein verwirrter Geist konnte auf die Idee kommen, Neger für vernunftbegabt zu halten. Und diesen Wilden vertraut man die Lehre des Evangeliums an! Bis dahin soll ich diese Tiere bändigen. Es wird sich schon einer finden, dem sie predigen können!» Er streckte drohend seinen Finger empor und rief mit durchdringender Stimme:
    «Wenn der Teufel Besitz von euch ergriffen hat, verlasst das Haus Gottes!»
    Schon kamen zwei herbeigerufene Diakone auf die Irren zugelaufen. Von heftigem Schluckauf unterbrochen, beruhigten sie sich allmählich wieder. Keineswegs verwirrt, brachte einer der Schwarzen Erklärungen vor. Seit einiger Zeit habe Gott sie ununterbrochen mit seinen Wohltaten überhäuft. Zuerst die Freilassung, das Ende der Peitsche, bessere Nahrung… Dann die Anwerbung, der Katechismus.

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