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Cristóbal

Cristóbal

Titel: Cristóbal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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der Länge nach auf den Fußboden, auf dem die Abfälle unserer Arbeit verstreut waren: stumpfe Federn, missglückte Karten, angeschlagene Becher…
    Las Casas würde gerne mehr darüber wissen. Er findet, ich handele dieses entscheidende Wiedersehen zu kurz ab. Könnte diese Eile irgendein Ereignis verbergen, das ich nicht eingestehen will? Komm schon, Bartolomeo, wie kannst du hoffen, ein friedliches Ende zu finden, wenn du dein Gewissen nicht erleichterst?
    Bartolomeo nickt. Was soll er auch anderes tun? Im Stillen schickt er die Dominikaner zum Teufel, doch weise, wie er ist, gehorcht er:
    In dem Moment, als er vor mir stand, brachten die ersten Gefühle, die mich überkamen, die gute Seite meines Wesens ans Licht. Warmherzigkeit, Mitgefühl, Erleichterung, Bewunderung. Und eine plötzliche Anwandlung von Angst, für die es keinen Grund mehr gab, da der, von dem ich nicht gewusst hatte, dass er in Lebensgefahr schwebte, als Geretteter vor mir stand.
    Von solch edlen Gefühlen angetrieben, stürzte ich ihm entgegen.
    Doch als ich bei ihm war, von seinen Muskeln erdrückt und seinem Gestank nach Salz und Schweiß ausgesetzt, hasste ich ihn. Er hatte mich in der Werkstatt geschnappt, in der ich mich um diekleinen Dinge kümmerte und mich dabei pudelwohl fühlte. Ich wusste, er würde mich verschlingen.
    Und plötzlich war das Bedauern da, ein schreckliches, schändliches Bedauern darüber, dass es ihm gelungen war, die Küste zu erreichen, dass er dort, vor Cabo de São Vicente, nicht ertrunken war.
    Dann hätte er nicht wieder Besitz von mir ergriffen. Und mein Leben wäre meines geblieben und nicht zu einem Anhang seines allzu ruhmreichen und noch erbärmlicheren Lebens geworden.
    Wie man sich denken kann, versammelte sich die ganze Werkstatt um den zusammengebrochenen Mann, der mehr tot als lebendig war. Andrea trat näher:
    «Ist er der, von dem du immer erzählst?»
    Ich nickte. Er lächelte.
    «Bring ihn in den Anbau mit den Farben. Dort hat er seine Ruhe und ist in guter Gesellschaft.»
    Wir lagerten dort Papier, Pergament, Tinten, Klebstoffe und verschiedenerlei Mittel für die Appreturen.
    Mein Bruder schlief drei Tage und zwei Nächte. Ich ging regelmäßig zu ihm und brachte ihm Essen, aber er rührte es nicht an. Eines Morgens war er wieder auf den Beinen und erkundigte sich, an wen er sich am besten wenden könnte, um auf einem Schiff anzuheuern.
    Andrea schlug ihm vor, er könne ihn stattdessen einstellen. Zu meiner Überraschung nahm Cristóbal das Angebot ohne Weiteres an. Als ich ihn am Abend nach dem Grund für seine Entscheidung fragte, antwortete er:
    «Ihr Kartographen wisst sicher Dinge über das Meer, die ich nicht weiß!»
    Die Überheblichkeit, die er bei seinem ersten Besuch an den Tag gelegt hatte, war verschwunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sein Schiffbruch ihn Bescheidenheit gelehrt hatte. Ich glaube vielmehr, dass sein Traum zum Vorhaben gereift war; undum ein Vorhaben umzusetzen, muss man zuerst lernen; wer aber lernen will, muss diejenigen achten, die mehr wissen als man selbst, und sei es auf einem für das eigene Vorhaben untergeordneten, aber dennoch nützlichen Gebiet.
    Schon am Abend des ersten Tages hatte er sich bei allen Achtung erworben, und ich profitierte davon. Immer wieder bekam ich zu hören: «Dein Bruder hat den ganzen Ozean im Kopf.»
    Es war ein unschätzbarer Vorteil uns gegenüber, dass er die Meere bereist hatte: Er hatte die meisten Küsten abgefahren, die wir zeichneten, war alle Häfen angelaufen, in alle Meerengen eingefahren, hatte zahllose Kliffe passiert und sie manchmal gerammt, und er hatte sie in bester (weil schmerzhafter) Erinnerung behalten. Er sah uns also über die Schulter und korrigierte unsere Skizzen.
    Keiner meiner Handwerksbrüder bestritt seine Autorität. Im Gegenteil. Beim geringsten Zweifel rief man ihn vom einen Ende der Werkstatt zum anderen.
    «Zieht sich der Strand hinter Tanger, gen Süden, wirklich so in die Länge?»
    «Sag, Genuese, habe ich hier, zwischen Lampedusa und Tunesien, auch keine Insel vergessen?»
    Ich konnte es kaum glauben, aber ich hatte das Gefühl, mein Bruder sei zur Ruhe gekommen. Vielleicht hatte er die Nase voll von seinem immer wechselhaften, immer gefahrvollen Leben? Doch eines Tages begann er sich zu rühren. Er ging hin und her. Dann wieder neigte er sich von einer Seite zur anderen. Und er hatte einen Tick an den Augen bekommen, er blinzelte unaufhörlich. Diese für jeden anderen als den eigenen

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