Cromwell, Bernard
hatten sich beim Gestank seines
schmutzigen Schaffells vor Ekel geschüttelt und dann über sein Gestammel und
sein verfilztes, schmutziges Haar gespottet - aber Sannas hatte sich nicht an
ihren Spötteleien beteiligt. Sie hatte das Mondzeichen auf Camabans Bauch
untersucht und dann ruckzuck alle Mädchen aus ihrer Hütte gescheucht. Nachdem
sie draußen waren, hatte sie Camaban eine ganze Weile schweigend angestarrt.
»Warum haben sie dich nicht getötet?«, hatte sie schließlich gefragt.
»W-w-weil die G-G-Götter auf mich aufpassen.«
Sie hatte ihm mit dem Schenkelknochen auf den Kopf
geschlagen. »Wenn du in meiner Gegenwart stotterst, Kind«, drohte sie, »werde
ich dich in eine Kröte verwandeln.«
Camaban hatte in die harten schwarzen Augen in dem
Totenschädel geblickt, dann hatte er sich ganz ruhig und gelassen vorgebeugt
und der Zauberin die in Blätter eingewickelte Honigwabe weggenommen.
»Gib sie zurück!«, hatte Sannas befohlen.
»Wenn ich eine K-K-Kröte sein soll«, hatte Camaban
erwidert, »dann will ich wenigstens eine honigsüße Kröte sein.« Über diese
Antwort hatte Sannas gelacht und dabei weit den Mund geöffnet, sodass ihr
verfaulter Zahnstummel sichtbar wurde. Sie hatte ihm befohlen, sein stinkendes
Schaffellhemd hinauszuwerfen, und ihm dafür ein Wams aus Otterfell gegeben;
danach hatte sie darauf bestanden, dass er sich die Kletten und den Schmutz aus
seinen Haaren kämmte. »Du bist ein gut aussehender Junge«, räumte sie unwirsch
ein, und das stimmte durchaus: denn sein Gesicht war schmal und hübsch, seine
Nase lang und gerade und seine dunkelgrünen Augen voller Kraft. Sie hatte ihn
eingehend befragt. Wie lebte er? Wie beschaffte er sich Nahrung? Wo hatte er
von den Göttern erfahren? Und Camaban hatte ihr ruhig geantwortet, ohne auch
nur eine Spur von Furcht vor ihr zu zeigen, und Sannas war zu dem Schluss
gekommen, dass sie den Jungen mochte. Er war wild, eigensinnig, unerschrocken
und vor allem klug. Sannas lebte in einer Welt von Dummköpfen, aber dieser Bursche
hier - obwohl noch ein halbes Kind - war endlich einmal jemand mit Verstand.
Und so hatten sich die alte Frau und der verkrüppelte Junge miteinander
unterhalten, während die Sonne unterging, die Feuer angezündet wurden und die
Stier-Tänzer die kreischenden Mädchen zu den schattigen Grasflächen zwischen
den Steinblöcken jagten.
Jetzt saßen sie da und schauten zu, wie die Tänzer um die
Feuer herumwirbelten. Irgendwo in der Dunkelheit wimmerte ein Mädchen. »Erzähl
mir von Saban«, forderte Sannas ihn auf.
Camaban zuckte die Achseln. »Ehrlich, hart arbeitend«,
sagte er in einem Ton, der keine der beiden Eigenschaften wie eine Tugend
klingen ließ, »ähnlich wie sein Vater.«
»Wird er Clanführer werden?«
»Mit der Zeit, vielleicht«, erwiderte Camaban gleichgültig.
»Und wird er den Frieden bewahren?«
»Woher soll ich das wissen?«, fuhr Camaban patzig auf.
»Was denkst du dann?«
»Was spielt es für eine Rolle, was ich denke?«, fragte er.
»Alle wissen, dass ich ein Schwachkopf bin.«
»Und bist du das wirklich?«
»Es ist das, w-w-was ich ihnen weiszumachen versuche. Ich
w-w-will, dass sie mich für einen Schwachkopf halten«, erklärte Camaban. »Auf
diese Weise lassen sie mich in Ruhe.«
Sannas nickte beipflichtend. Die beiden saßen eine Weile
schweigend da, beobachteten, wie der Widerschein der Flammen die Steinpfeiler
des Tempels rötlich färbte. Funken wirbelten in den Himmel, schossen zu den
kalten weißen Sternen hinauf. Plötzlich ertönte ein Schrei aus der Dunkelheit,
wo zwei junge Männer, der eine aus Ratharryn und der andere aus Cathallo, sich
zu prügeln begonnen hatten. Ihre Freunde trennten die beiden Streithähne, aber
während dieser Kampf endete, brachen bereits andere Kämpfe aus. Die Leute von
Cathallo waren sehr großzügig mit ihrem gegorenen Honig gewesen, der speziell
für das Mittsommerfest angesetzt worden war. »Als meine Großmutter noch ein
Mädchen war«, sagte Sannas, »gab es noch keinen Met. Die Fremdländischen haben
uns gezeigt, wie man ihn gären lässt, und sie machen immer noch den besten.«
Sie grübelte eine Weile darüber nach, dann zuckte sie die Achseln. »Aber
meine Zaubertränke können sie nicht brauen. Ich kann dir einen Trank geben,
der dir Flügel verleiht, und Essen, das dir wundervolle Träume beschert.« Ihre
Augen unter der Kapuze ihres Schals glitzerten.
»Ich möchte von dir lernen«, bat Camaban.
»Mädchen unterrichte ich,
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