Cromwell, Bernard
das rauchige Dunkel gewöhnten, sich beklommen in der Hütte
um und bemerkte, dass ihn ein Dutzend Mädchen unverhohlen musterte. An dem
Stützpfosten, der das Dach trug, waren Fledermausflügel befestigt, dazwischen
hingen die Netze mit den Schädeln und weitere Netze, in denen sich runde
Tongefäße befanden. Hoch oben an dem Pfosten ragte ein Hirschgeweih in den
Raum, während vom Dach der Hütte Federbüschel und Bündel mit Kräutern herabbaumelten,
alle von dicken Spinnweben umgeben. In einem Weidenkorb neben dem Feuer lagen
die kunterbunt durcheinander geworfenen Knochen kleiner Vögel. Dies ist keine
Hütte, in der jemand wohnt, dachte Saban, sondern eher ein Lagerhaus für die
rituellen Schätze von Cathallo, die Art von Ort, wo sicher der Kindstöter des
Stammes aufbewahrt wurde.
»Also, berichte«, sagte Sannas mit einer Stimme, so scharf
wie eine Messerschneide, »verrate mir, Saban, Sohn von Hengall, Sohn von Lock,
Abkömmling einer fremdländischen Schlampe, die bei einem Raubzug gefangen
genommen wurde, verrate mir, warum die Götter mit Missfallen auf Ratharryn
herabblicken.«
Saban gab keine Antwort. Er fürchtete sich zu sehr.
»Ich hasse blöde Jungen«, knurrte Sannas. »Sprich, du Dummkopf,
oder ich werde deine Zunge in einen Wurm verwandeln, und du wirst jeden
einzelnen Tag deines erbärmlichen Lebens an seinem Schleim saugen.«
Saban zwang sich zu antworten. »Die Götter ...«, begann
er, dann wurde ihm bewusst, dass er flüsterte, deshalb erhob er die Stimme,
fest entschlossen, seinen Stamm zu verteidigen. »Die Götter haben uns Gold gesandt,
Herrin, wie können sie da mit Missfallen auf uns herabblicken?«
»Sie haben euch Slaols Gold gesandt«, erwiderte Sannas
erbittert, »und was ist seitdem passiert? Lahanna hat eine Opfergabe
zurückgewiesen, und dein älterer Bruder hat sich zu den Fremdländischen
davongeschlichen. Wenn die Götter Ratharryn einen Topf aus Gold schicken
würden, dann wüsstet ihr nichts Besseres damit anzufangen als hineinzupinkeln!«
Die Mädchen kicherten. Saban schwieg, und Sannas funkelte ihn böse an. »Bist
du ein Mann?«, verlangte sie zu wissen.
»Noch nicht, Herrin.«
»Dennoch trägst du eine Männergewand. Ist jetzt Winter?«
»Nein, Herrin.«
»Dann zieh sie aus«, befahl sie. »Na los, mach voran!«
Hastig hakte Saban seinen Gürtel auf und zog sich das Hemd
über den Kopf, was prompt erneutes lautes Gekicher in der Hütte hervorrief.
Sannas musterte Saban von oben bis unten, dann verzog sie verächtlich den Mund.
»Ist das etwa das Beste, was Ratharryn zu bieten hat? Seht ihn euch bloß an,
Mädchen! Sein Glied sieht aus wie etwas, was aus einem Schneckenhaus
hervorgequollen ist!«
Saban errötete vor Verlegenheit, froh, dass es so dunkel
in der Hütte war. Sannas betrachtete ihn missmutig, dann griff sie in einen
Beutel und zog ein in Blätter gewickeltes Päckchen heraus. Sie schälte die
Blätter ab, um eine Honigwabe zu enthüllen, von der sie ein Stückchen abbrach
und sich in den Mund schob. »Dieser Dummkopf Hirac«, meinte sie nun, »hat
versucht, deinen Bruder Camaban zu opfern?«
»Ja, Lady.«
»Aber dein Bruder lebt. Wieso?« Saban runzelte die Stirn.
»Er wurde von Lahanna gezeichnet, Herrin.«
»Warum wollte Hirac ihn dann überhaupt opfern?«
»Das weiß ich nicht, Herrin.«
»Du weißt nicht sonderlich viel, oder? Jämmerlicher Wicht,
der du bist! Und jetzt ist Lengar geflohen, weshalb du seinen Platz einnehmen
sollst.« Sie starrte ihn finster an, dann spuckte sie ein Stückchen Wachs ins
Feuer. »Aber Lengar hat uns nie leiden können, stimmt's?«, fuhr sie fort.
»Lengar wollte Krieg gegen uns führen! Warum mochte Lengar uns nicht?«
»Er konnte niemanden leiden«, erklärte Saban.
Diesen Kommentar belohnte sie mit einem schiefen Lächeln.
»Er hat befürchtet, wir würden ihm das Land wegnehmen, über das er als der
nächste Clanführer eures Stammes herrschen wollte, richtig? Er hat befürchtet,
wir würden Klein Ratharryn schlucken.« Sie zeigte mit einem Finger in das
Halbdunkel am Rand der Hütte. »Lengar sollte sie heiraten. Derrewyn, Tochter
von Morthor, der der Hohepriester von Cathallo ist.«
Saban blickte in die Richtung, in die Sannas wies, und der
Atem stockte ihm in der Kehle, denn er sah ein schlankes Mädchen mit langem
schwarzen Haar und einem hübschen, bangen Gesicht. Sie wirkte nicht älter als
Saban, hatte große Augen und schien vor Nervosität zu zittern - als ob sie sich
in dieser mit
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