Cromwell, Bernard
dich
ausgesucht hätte«, sagte er mürrisch zu seinem Sohn, als sie in südlicher
Richtung nach Ratharryn wanderten. »Sie ist viel zu dünn.«
»Zu dünn?«, fragte Saban verwundert. Er hatte Derrewyn
ausgesprochen schön gefunden.
»Mit Frauen verhält es sich nicht anders als mit Kühen«,
erklärte Hengall. »Die besten haben ein breites Hinterteil. Es hat keinen
Zweck, ein dünnes Ding zu heiraten, sie sterben doch nur im Kindbett. Aber
Sannas hat nun mal entschieden, dass du Derrewyn heiraten sollst, und die
Heirat wird unseren Frieden besiegeln, basta!«
Hengall hatte sich nicht nur mit der Eheschließung
einverstanden erklärt, sondern er hatte auch acht große Felsblöcke gekauft, mit
denen Gilan den Alten Tempel wieder aufbauen konnte. Der Preis für die Steine
war eine der großen Goldrauten gewesen und neun von den kleinen, was Hengall
für billig hielt. Es war richtig, dachte er, einen kleinen Teil des Goldes von
Sarmennyn für die Felsblöcke auszugeben; denn jetzt wusste er genau, dass die
Ankunft der Schätze die Botschaft von Slaol gewesen war, den Alten Tempel
wieder herzurichten, und Gilan hatte ihn davon überzeugt, dass Ratharryn einen
Steintempel benötigte.
In Ratharryn gab es kein Gestein. Es gab zwar Kiesel im
Fluss und ein paar größere Felsbrocken, aus denen man Hämmer oder Äxte
herausschlagen konnte; aber solch riesigen Quader wie diejenigen, die die
Säulen und Decksteine des Tempels von Cathallo bildeten, waren in der Siedlung
nicht zu finden. Rings um Ratharryn gab es viele Kreidebrüche, Gras und Bäume,
während das Gebiet von Cathallo reich an den großen Findlingen war, die so
dicht auf den Hügeln verstreut lagen, dass sie aus der Ferne wie eine Herde
gigantischer Schafe aussahen. Sannas behauptete, die Steine seien von Slaol
dorthin geschleudert worden, in dem vergeblichen Versuch, die Leute von
Cathallo daran zu hindern, den heiligen Hügel für Lahanna aufzuschütten; andere
wiederum glaubten, dass Gewat, der Gott der Wolken, die grauen Findlinge auf
die Hügel geworfen hätte, weil er sein Abbild auf dem grünen Antlitz der Erde
wünschte; nun, wie auch immer die Steine nach Cathallo gelangt sein mochten,
sie waren die Einzigen, die es in der weiteren Umgebung von Ratharryn gab.
Saban gefiel die Vorstellung, etwas Neues und Beeindruckendes
in Ratharryn zu erbauen. Ein paar von Hengalls Stammesangehörigen murrten, dass
Tempel aus Holzpfeilern dem Stamm bisher immer gute Dienste geleistet hätten;
aber die Händler, jene Männer, die mit Fellen, Feuerstein und Tongeschirr
auszogen, um sie gegen Äxte, Schalentiere und Salz einzutauschen, wiesen darauf
hin, dass es auch in Drewenna einen großen Steintempel gab und dass fast alle
Tempel im fernen Westen ebenfalls aus Steinblöcken bestanden; deshalb ließ die
Aussicht auf einen eigenen Steintempel die meisten von Hengalls Leuten wieder
Hoffnung schöpfen. Ein Tempel aus Steinen könnte dem Stamm Glück bringen, und
dieser Glaube genügte, um die Priester davon zu überzeugen, dass Gilan der neue
Hohepriester sein sollte. Sie berichteten Hengall von ihrer Entscheidung, und
der Clanführer, der vier der Priester mit Bronzebarren, fremdländischen
Sklavenmädchen und Bernsteinklumpen bestochen hatte, damit sie genau diese Wahl
treffen würden, akzeptierte die Entscheidung feierlich als von den Göttern
kommend.
So wurde Gilan der neue Hohepriester, und als Erstes
forderte er den Stamm auf, den Alten Tempel von dem Unkraut und dem
Haselnussgestrüpp zu befreien, damit das Heiligtum gesäubert und vorbereitet
war, wenn im neuen Jahr die Steine aus Cathallo eintrafen.
Die Männer machten sich an die Arbeit, während die Frauen
außerhalb des Walls blieben und im Kreis um die Tempelanlage tanzten. Sie
sangen währenddessen, und ihr Lied war die Hochzeitsmelodie von Slaol. Nur Frauen
sangen jemals dieses wunderschöne Lied und auch nur zu ganz besonders
feierlichen Anlässen. Es gab Unterbrechungen, mit langen Pausen zwischen den
einzelnen Teilen, und während dieser Pausen pflegten die Tänzerinnen
vollkommen reglos dazustehen, bevor sie - scheinbar ohne dass ihnen jemand
sagte, wann - die Tanzschritte und die Melodie plötzlich wieder aufnahmen.
Ihre Stimmen überlagerten einander in vollkommener Harmonie; obwohl sie das
Lied niemals gemeinsam übten, klang es immer unvergesslich schön, und ihre
Schritte endeten und begannen stets in perfekter Übereinstimmung. Mütter
brachten ihren Töchtern Verse des Liedes bei, und
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