Cronin, Justin
war er unter dem Trailer auf ein Karnickelnest gestoßen,
winzig kleine Klumpen aus pfirsichfarbener Haut, noch ganz ohne Fell, und er
hatte sie alle zerkaut, einen nach dem anderen, und ihre kleinen Schädel hatten
zwischen seinen Backenzähnen geknackt - als sitze ein Kind mit einer Schachtel
Knuspernüsse im Kino.
Und komisch: Er war nicht mal sicher, dass
Brownbear das tatsächlich getan hatte.
Er fragte sich, ob er krank war. Die Tafel über
der Wachstation auf E3 machte ihn nervös. Das war vorher nie so gewesen. Es
war, als rede sie mit ihm. Alle nachfolgenden
Symptome ... Eines Morgens auf dem Rückweg vom Frühstück
hatte er ein Kribbeln in der Kehle gespürt, als sei eine Erkältung im Anzug,
und ehe er sich versah, hatte er heftig in die flache Hand geniest. Seitdem
lief ihm die Nase immer ein wenig. Andererseits war jetzt Frühling; nachts war
es zwar immer noch kalt, doch nachmittags konnte es zehn oder sogar fünfzehn
Grad warm werden, und alle Bäume trugen Knospen, und ein zarter grüner Dunst
überzog die Berge wie versprühte Farbe. Er hatte immer schon Heuschnupfen gehabt.
Dann war da die Stille. Es dauerte eine Weile,
bis Grey bemerkte, was es war. Niemand sagte mehr etwas - nicht nur die
Schrubberschwinger, die sowieso nie viel geredet hatten, sondern auch die
Techniker und Soldaten und Ärzte nicht. Es war nicht so, dass es auf einen
Schlag passierte, an einem Tag oder innerhalb einer Woche. Aber langsam und
mit der Zeit hatte sich das Schweigen wie ein Deckel über das Gelände gelegt.
Grey selbst war immer eher ein Zuhörer gewesen - das hatte Wilder, der
Gefängnispsychiater, über ihn gesagt: »Sie sind ein guter Zuhörer, Grey.« Er
hatte es als Kompliment gemeint, aber Wilder war vor allem in den Klang seiner
eigenen Stimme verliebt und immer froh, wenn er ein Publikum hatte. Trotzdem
vermisste Grey das Geräusch menschlicher Stimmen. Eines Abends in der Kantine
hatte er dreißig Männer gezählt, die über ihre Tabletts gebeugt an den Tischen
saßen, und keiner von ihnen hatte auch nur ein Wort gesprochen. Manche hatten
nicht mal gegessen, sondern einfach nur dagesessen, an einer Tasse Kaffee oder
Tee genippt und ins Leere gestiert. Als ob sie halb schliefen.
Eins immerhin: In puncto Schlafen war alles in
Ordnung bei Grey. Er schlief und schlief und schlief, und wenn morgens um fünf
der Wecker losging oder nach der Spätschicht erst um zwölf Uhr mittags, drehte
er sich im Bett herum, zündete sich eine Zigarette aus der Packung auf dem
Nachttisch an, blieb noch ein paar Minuten liegen und versuchte
herauszufinden, ob er geträumt hatte oder nicht. Er glaubte es nicht.
Eines Morgens setzte er sich an einen Tisch in
der Kantine, um zu frühstücken - French Toast, getränkt mit Butter, zwei Eier,
drei Würstchen und eine Schale Grütze dazu -, und als er den Kopf hob, um den
ersten Bissen zu nehmen, einen triefenden Brocken French Toast, dicht vor
seinem Mund, sah er Paulson. Da saß er, ihm unmittelbar gegenüber, zwei Tische
weiter. Grey hatte ihn seit dem Gespräch an jenem Abend ein- oder zweimal zu
Gesicht bekommen, aber nicht aus der Nähe, nicht so. Paulson saß vor einem
Teller Rührei, ohne ihn anzurühren. Er sah beschissen aus. Seine Haut spannte
sich so straff über das Gesicht, dass man die Kanten seiner Knochen sehen
konnte. Kurz, für einen winzigen Augenblick nur, trafen sich ihre Blicke.
Paulson schaute weg.
Als Grey sich an dem Abend zum Dienst meldete,
fragte er Davis: »Kennst du diesen Paulson?«
Davis war in letzter Zeit auch nicht mehr so
vergnügt wie früher. Es war vorbei mit den Witzen und den unanständigen
Illustrierten und dem Kopfhörer, aus dem kreissägenartige Musik sickerte. Grey
fragte sich, was zum Teufel Davis die ganze Nacht an seinem Tisch machte; aber
freilich wusste Grey auch nicht, was er selbst die ganze Nacht machte.
»Was ist mit ihm?«
Doch Greys Erkundigung war schon zu Ende; er
wusste nicht, was er noch fragen sollte.
»Nichts. Wollte nur wissen, ob du ihn kennst,
weiter nichts.«
»Tu dir einen Gefallen. Halte dich fern von
diesem Arschloch.«
Grey fuhr hinunter und machte sich an die
Arbeit. Erst später, als er mit einer Bürste eine Toilettenschüssel auf E4
schrubbte, fiel ihm die Frage ein, die er hatte stellen wollen.
Wovor hat er solche Angst?
Wovor haben hier alle solche Angst?
Sie nannten ihn Nummer zwölf. Nicht Carter oder
Anthony oder Tone, aber es ging ihm jetzt so schlecht, als er allein hier im
Dunkeln
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