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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Reinigungskräften setzte einen Fuß auf Ebene vier. Da die
Soldaten nichts anderes zu tun hatten, als im Schnee herumzustehen, waren
müßige Vermutungen und loses Geschwätz in der Kantine unvermeidlich. Aber
Richards hatte das instinktive Gefühl, dass Paulson nicht nur Tratsch
nachgeplappert hatte, was immer er zu Carter gesagt haben mochte.
    Vielleicht träumte auch Paulson. Vielleicht
träumten sie alle.
    Wenn Richards jetzt träumte, dann von den
Nonnen. Diese Aktion hatte ihm nicht besonders gut gefallen. Vor langer Zeit -
es war so lange her, dass es zu einem ganz anderen Leben zu gehören schien -
war er auf einer katholischen Schule gewesen. Die Nonnen dort waren eine Bande
von verhutzelten alten Hexen gewesen, die gern Ohrfeigen und Kopfnüsse
verteilt hatte, aber er hatte sie respektiert: Sie hatten gemeint, was sie
sagten. Nonnen zu erschießen, ging ihm deshalb gegen den Strich. Die meisten
hatte es einfach im Schlaf erwischt. Eine war allerdings aufgewacht, und so,
wie sie die Augen öffnete, hatte er den Eindruck gehabt, dass sie ihn erwartet
hatte. Zwei hatte er da bereits erledigt; sie war die dritte. Sie lag im Bett
und öffnete die Augen, und in dem fahlen Licht, das durch das Fenster
hereinfiel, sah er, dass sie kein vertrocknetes Seepferdchen war wie die
andern, sondern jung und nicht übel aussehend. Dann schloss sie die Augen und
murmelte etwas, ein Gebet wahrscheinlich, und Richards erschoss sie durch das
Kopfkissen.
    Eine Nonne hatte gefehlt. Lacey Antoinette
Kudoto, die Verrückte. Er hatte den psychiatrischen Befund von der Diözese
gelesen. Niemand würde ihre Geschichte glauben, und selbst wenn doch: Die Spur
endete in Western Oklahoma bei ein paar toten Cops, die von zwei durchgeknallten
FBI-Agenten erschossen worden waren, und einem zehn Jahre alten Chevy Tahoe,
der so pulverisiert war, dass man Pinzetten und ungefähr tausend Jahre
brauchen würde, um ihn wieder zusammenzusetzen.
    Trotzdem hatte es ihm nicht gefallen, diese
Nonne zu erschießen.
    Richards saß in seinem Büro und behielt die
Überwachungsmonitore im Auge. Der Zeitstempel stand auf 22:26 Uhr. Die
Schrubberschwinger hatten die Kaninchenkäfige in die Isolierzellen und später
wieder herausgebracht; keiner der Probanden hatte sich für das Fressen interessiert.
Das Fasten hatte mit Zero angefangen und sich dann auf die andern ausgebreitet,
als Carter gekommen war - vielleicht zwei Tage danach. Das war rätselhaft, aber
wenn es nach Special Weapons ging, würden die Glühstäbe bald genug wieder
fressen. Bis dahin jedoch wäre Richards hoffentlich beim Eisfischen in der
Hudson Bay oder beim Ausstechen von Schneeblöcken für ein Iglu.
    Er warf einen Blick auf den Monitor für Amys
Zelle. Wolgast saß an ihrem Bett. Sie hatten ihm eine kleine Campingtoilette
mit einem Nylonvorhang und eine Pritsche zum Schlafen hineingestellt. Aber er
hatte überhaupt noch nicht geschlafen, sondern saß Tag für Tag auf dem Stuhl
neben ihrem Bett, streichelte ihre Hand und sprach mit ihr. Was er sagte,
wollte Richards gar nicht wissen. Trotzdem beobachtete er die beiden
unwillkürlich immer wieder und stundenlang, fast so ausgiebig, wie er Babcock
beobachtete.
    Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Babcocks
Kammer. Giles Babcock, Nummer eins. Babcock hing mit dem Kopf nach unten an
den Gitterstäben, und seine Augen, diese unheimlichen orangegelben Augen, waren
geradewegs auf die Kamera gerichtet. Sein Kiefer mahlte langsam und kaute auf
der Luft. Ich bin dein, und du bist mein, Richards. Wir
alle sind jemandem zugedacht, und ich bin dir zugedacht.
    Yeah, dachte Richards, du kannst mich
gleichfalls am Arsch lecken.
    Sein Funkgerät summte an seiner Taille.
    »Torwache«, meldete eine Stimme. »Wir haben eine
Frau hier draußen.«
    Richards schaute auf den Tormonitor. Zwei Posten
- der eine hielt das Funkgerät ans Ohr, der andere hatte sein Gewehr von der
Schulter genommen. Die Frau stand am äußeren Rand des Lichtkreises vor der
Postenbaracke. »Und?«, fragte er. »Jagt sie weg.«
    »Das ist es ja, Sir«, sagte der Posten. »Sie
will nicht gehen. Sie sieht auch nicht aus, als ob sie einen Wagen hätte. Ich
glaube, sie ist tatsächlich zu Fuß gekommen.«
    Richards starrte auf den Monitor. Er sah, wie
der Posten das Sprechgerät fallen ließ und seine Waffe von der Schulter nahm.
    »Hey!«, hörte Richards ihn rufen. »Sofort
zurück! Halt, oder ich schieße!«
    Richards hörte einen Schuss. Der zweite Soldat
rannte in die Dunkelheit

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