Cronin, Justin
davon. Zwei weitere Schüsse fielen; sie klangen
gedämpft, denn das Funkgerät lag im Schlamm. Zehn Sekunden vergingen. Zwanzig.
Dann erschienen die beiden Soldaten wieder im Licht. Richards sah an ihrer
Körperhaltung, dass sie die Frau verloren hatten.
Der erste Soldat hob das Funkgerät auf und
schaute in die Kamera.
»Tur mir leid. Sie ist irgendwie entkommen.
Sollen wir sie suchen?«
Herr im Himmel. Das hatte er gerade noch
gebraucht. »Wer war sie?«
»Eine Schwarze, sprach mit irgendeinem Akzent«,
berichtete der Posten. »Sagte, sie sucht jemanden namens Wolgast.«
Er starb nicht. Nicht sofort, und nicht, als die
Tage vergingen. Und am dritten Tag erzählte er ihr die Geschichte.
Da war einmal ein kleines Mädchen, erzählte
Wolgast ihr. Noch kleiner als du. Sie hieß Eva, und ihre
Eltern liebten sie sehr. In der Nacht nach ihrer Geburt nahm ihr Vater sie in
dem Zimmer in der Klink, in dem sie alle schliefen, aus ihrem Bettchen und
hielt sie im Arm; er spürte ihre Haut an seiner, und von diesem Augenblick an
war sie wirklich und wahrhaftig in ihm. In seinem Herzen.
Wahrscheinlich sah und hörte jemand zu. Die
Kamera hing schräg hinter ihm. Es kümmerte ihn nicht. Fortes kam, nahm dem
Mädchen Blut ab, wechselte die Beutel und ging wieder. Wolgast redete weiter,
den dritten Tag hindurch, und erzählte Amy alles, erzählte ihr die Geschichte,
die er noch niemandem erzählt hatte.
Und dann passierte etwas. Mit ihrem Herzen. Ihr
Herz, weißt du - er zeigte auf die Stelle an seiner
eigenen Brust -, es fing an zu schrumpfen. Während der
Körper ringsherum wuchs, tat ihr Herz es nicht, und dann hörte auch der Rest
auf zu wachsen. Er hätte ihr seines gegeben, wenn er gekonnt hätte, denn es
gehörte ihr ja sowieso. Es hatte ihr immer gehört und würde ihr immer gehören.
Aber das ging nicht, er konnte nichts tun, niemand konnte etwas tun, und als
sie starb, starb er mit ihr. Den Mann, der er gewesen war, gab es nicht mehr.
Und der Mann und die Frau konnten einander nicht mehr lieben, denn ihre Liebe
war jetzt nur noch Trauer, und sie vermissten ihre kleine Tochter.
Er erzählte ihr die Geschichte, erzählte ihr
alles. Und als die Geschichte zu Ende war, war auch der Tag zu Ende.
Und dann bist du gekommen, Amy, sagte
er. Dann habe ich dich gefunden. Verstehst du? Es
war, als wäre sie zu mir zurückgekommen. Komm zurück, Amy. Komm zurück, komm
zurück, komm zurück.
Er hob den Kopf. Er öffnete die Augen. Und auch
Amy öffnete die Augen.
13
Lacey im Wald: Sie bewegte sich geduckt, huschte
von Baum zu Baum und brachte Distanz zwischen sich und die Soldaten. Die kalte,
dünne Luft brannte in der Lunge. Sie blieb stehen und lehnte sich an einen
Baum, um zu Atem zu kommen.
Angst hatte sie nicht. Die Kugeln der Soldaten
bedeuteten nichts. Sie hatte gehört, wie sie durch das Unterholz fetzten, aber
sie waren nicht einmal in ihre Nähe gekommen. Und sie waren so klein! Kugeln -
wie konnten Kugeln einen Menschen verletzen? Nach dem weiten Weg, den sie
hinter sich gebracht hatte - wie konnten sie da hoffen, sie mit etwas so Kümmerlichem
zu verscheuchen?
Sie spähte um den dicken Stamm herum. Durch die
unteren Äste sah sie das Licht der Wachbaracke und hörte die beiden Männer
reden; ihre Stimmen hallten klar durch die mondlose Nacht. Eine
Schwarze, mit irgendeinem Akzent, sagte der eine immer
wieder. Scheiße, dafür reißt er uns den Arsch auf. Wie
konnten wir danebenschießen, verdammt? Hey? Wie denn? Fuck, du hast nicht mal
gezielt!
Wer immer es war, mit dem er da telefonierte,
die beiden hatten Angst vor ihm. Aber dieser Mann - Lacey wusste, dass er
nichts war, niemand. Und die Soldaten, die waren wie Kinder, die nicht allein
denken konnten. Wie die auf dem Feld vor langer Zeit. Sie erinnerte sich jetzt
an sie, was sie getan und getan hatten, stundenlang. Sie hatten geglaubt, sie
nähmen ihr etwas - sie sah es an dem dunklen Grinsen, das ihre Gesichter
spaltete, roch es in dem sauren Geruch ihres Atems auf ihrem Gesicht -, und es
stimmte: Sie hatten ihr etwas genommen. Aber jetzt hatte sie ihnen verziehen
und sich wiedergeholt, was sie genommen hatten: Lacey selbst, und mehr
außerdem. Sie schloss die Augen.
Aber du, Herr, bist der Schild für mich, dachte
sie: der mich zu Ehren setzt und mein Haupt
aufrichtet.
Ich rufe an mit meiner Stimme den Herrn; so
erhört er mich von seinem heiligen Berge.
Ich liege und schlafe und erwache; denn der Herr
hält mich.
Ich
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