Cronin, Justin
dauerte einen Moment, bis
Wolgast begriff, dass es auch Fortes war, nur ein anderer Teil von ihm.
Amys Augen waren geschlossen, aber Wolgast
drückte ihr Gesicht trotzdem an sich, damit sie nichts davon sah. Hinter Fortes
lagen noch zwei weitere Leichen, vielleicht auch drei - er konnte es nicht
erkennen. Der Boden war glitschig vom Blut; seine Füße rutschten darin aus, im
Schleim menschlicher Überreste.
Der Aufzug war explodiert; an seiner Stelle
klaffte nur noch ein Loch, erleuchtet von den sprühenden Funken zerrissener
Stromkabel. Die schweren Stahltüren waren quer durch den Flur geschossen und
hatten die gegenüberliegende Wand durchschlagen. Im schräg einfallenden Licht
der Notbeleuchtung sah Wolgast noch zwei Tote: Soldaten, die von den Trümmern
der Tür zerrissen worden waren. Ein Dritter lehnte an der Wand, saß da wie zur
Siesta, aber er saß in seinem eigenen Blut. Sein Gesicht sah müde und welk aus,
und die Uniform hing schlaff an seiner Gestalt, als sei sie ein paar Nummern zu
groß.
Wolgast riss seinen Blick von ihm los. »Wie
kommen wir hier raus?«
»Hier entlang«, sagte Lear. Der Nebel schien
sich bei ihm gelichtet zu haben; er handelte jetzt mit drängender
Zielstrebigkeit. »Schnell.«
Wieder ging es einen Korridor hinunter. Überall
offene Türen - schwere Stahlabsperrungen wie die vor Amys Zimmer. Und auf dem
Boden lagen noch mehr Leichen, doch Wolgast wollte - konnte - sie nicht mehr
zählen. Die Wände waren von Einschusslöchern übersät, und überall lagen
Patronenhülsen aus blinkendem Messing. Dann kam ein Mann aus einer Tür - besser
gesagt, er stolperte heraus. Ein dicker, weicher Mann wie einer von denen, die
Wolgast sein Essen gebracht hatten. Aber Wolgast kannte ihn nicht. Der Mann
drückte die Hand auf einen tiefen Riss an seinem Hals, und das Blut floss
zwischen seinen Fingern hindurch, wo sie sich in das Fleisch pressten. Sein
Hemd, ein OP-Hemd, wie Wolgast es trug, war von einem glitzernden Latz aus
Blut bedeckt.
»Hey«, sagte er. »Hey.« Er sah die drei an und
schaute den Gang hinauf und hinunter. Das Blut schien er gar nicht zu
bemerken, oder es kümmerte ihn nicht. »Was ist mit dem Licht passiert?«
Wolgast wusste nicht, was er sagen sollte. Mit
der Wunde müsste der Mann eigentlich längst schon tot sein. Wolgast konnte es
kaum fassen, dass der Kerl noch stehen konnte.
»Uhhh«, sagte der Mann und fing an zu wackeln.
»Langsam. Ich muss mich hinsetzen.«
Schwerfällig sank er zu Boden; er sackte in sich
zusammen wie ein Zelt ohne Stangen. Er atmete tief ein und schaute zu Wolgast
auf. Sein Körper wurde von heftigen Zuckungen geschüttelt.
»Schlafe ... ich?«
Wolgast antwortete nicht. Die Frage ergab keinen
Sinn. Lear legte Wolgast die Hand auf die Schulter. »Lassen Sie ihn. Wir haben
keine Zeit.«
Der Mann leckte sich die Lippen. Er hatte so
viel Blut verloren, dass er auszutrocknen begann. Seine Lider fingen an zu
flattern, und seine Hände lagen schlaff wie leere Handschuhe neben ihm auf dem
Boden.
»Denn ich sage Ihnen, ich hatte verdammt noch
mal den übelsten Traum, den Sie sich denken können. Grey, hab ich zu mir
gesagt, du hast den schlimmsten Alptraum der Welt.«
»Ich glaube, es war kein Traum«, sagte Wolgast.
Der Mann dachte darüber nach und schüttelte den
Kopf. »Das hatte ich befürchtet.«
Er zuckte in einem heftigen Krampf zusammen, als
habe ihn ein Stromschlag getroffen. Lear hatte recht. Man konnte nichts für ihn
tun. Das Blut aus seinem Hals hatte sich blauschwarz verfärbt.
»Tut mir leid«, sagte er. »Wir müssen weiter.«
»Sie glauben, Ihnen tut's leid«, sagte der Mann, und sein Kopf schlug gegen die
Wand. »Agent...«
Greys Gedanken waren anscheinend woanders. »Das
war nicht bloß ich, wissen Sie«, sagte er und schloss die Augen. »Das waren wir
alle.«
Sie hasteten weiter und gelangten in einen Raum
mit Spinden und Bänken. Eine Sackgasse, dachte Wolgast, aber Lear nahm einen
Schlüssel aus der Tasche und öffnete eine Tür mit der Aufschrift »Technik«.
Wolgast ging hindurch. Lear kniete am Boden und
benutzte ein kleines Messer, um eine Metallluke in der Wand aufzustemmen. Sie
klappte an einem Scharnier auf, und Wolgast beugte sich vor, um hindurchzuschauen.
Die Öffnung war höchstens einen Quadratmeter groß.
»Geradeaus, ungefähr zehn Meter, und dann kommen
sie an eine Stelle, wo ein Schacht senkrecht nach oben führt. Darin ist eine
Leiter für Wartungsarbeiten. Sie geht bis zur
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