Cronin, Justin
Veranda.
Ein harter Ruck mit dem Stemmeisen aus dem
Toyota, und das Schloss an der Haustür riss ab. Wolgast knipste seine
Taschenlampe an und trat ein. Wenn Amy allein aufwachte, würde sie vielleicht
Angst bekommen, aber er wollte sich trotzdem rasch umsehen und sich
vergewissern, dass keine Gefahr drohte. Er betätigte den Lichtschalter neben
der Tür, aber nichts geschah. Natürlich war der Strom abgeschaltet.
Wahrscheinlich gab es irgendwo einen Notfallgenerator, er würde jedoch Benzin
brauchen, um ihn in Gang zu setzen, und selbst dann - wer wusste, ob das Ding
funktionierte. Er ließ den Lichtstrahl durch den Raum wandern: ein
Durcheinander von Holztischen und -Stühlen, ein gusseiserner Kachelofen, ein
Büroschreibtisch aus Metall, der an der Wand stand, und darüber ein schwarzes
Brett, an dem nur ein einziger Zettel hing, vom Alter gekräuselt. Die
Fensterläden waren nicht geschlossen, aber die Scheiben hatten gehalten, das
Haus war dicht und trocken, und wenn das Feuer im Ofen erst mal brannte, würde
es schnell warm werden.
Er folgte dem Strahl der Taschenlampe zum
schwarzen Brett. WILLKOMMEN CAMPER, SOMMER 2014, stand auf dem Blatt und darunter
eine Liste von Namen, die die ganze Seite ausfüllte: die üblichen Jacobs und
Joshuas und Andrews, aber auch ein Sasha und sogar ein Akeem, jeweils gefolgt
von der Nummer der Hütte, der er zugewiesen war. Wolgast war drei Jahre
hintereinander als Camper hier gewesen, und im letzten - in dem Sommer, als er
zwölf geworden war - hatte er als Juniorbetreuer in einer Hütte mit einer
Gruppe kleinerer Jungen gewohnt, von denen viele von solch lähmendem Heimweh
geplagt wurden, dass man es schon als Krankheit bezeichnen konnte. Zwischen
denen, die ganze Nächte hindurch weinten, und den mitternächtlichen Possen
ihrer Peiniger hatte Wolgast den ganzen Sommer über kaum ein Auge zugetan. Und
dennoch war er nie so glücklich gewesen; jene Tage waren in vieler Hinsicht die
besten seiner Kindheit gewesen, eine goldene Zeit. Erst im Herbst darauf waren
seine Eltern mit ihm nach Texas gezogen, wo all ihre Sorgen angefangen hatten.
Der Eigentümer des Camps war ein gewisser Mr Haie gewesen, ein Biologielehrer
von der Highschool mit der tiefen Stimme und dem breiten Brustkorb eines
Football-Verteidigers, der er auch gewesen war. Er war mit Wolgasts Vater
befreundet, aber soweit Wolgast sich erinnern konnte, hatte ihn diese
Freundschaft nie zu irgendeiner Art von Sonderbehandlung veranlasst.
Im Sommer hatte Mr Haie mit seiner Frau eine Art
Apartment im oberen Stock bewohnt, und Wolgast machte sich jetzt auf die Suche
danach. Durch eine Schwingtür verließ er den Gemeinschaftsraum und kam in die
Küche: rustikale Kiefernholzschränke, ein Nagelbord mit rostenden Töpfen und
Pfannen, ein Spülbecken mit einer altmodischen Wasserpumpe, ein Herd und ein
Kühlschrank mit halb offener Tür. In der Mitte stand ein breiter
Kiefernholztisch, und alles war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Der Herd
war ein altes Großküchengerät mit einer Uhr im Bedienfeld, die um sechs
Minuten nach drei stehen geblieben war. Er drehte einen der Knöpfe und hörte
das Zischen von Gas.
Aus der Küche führte eine schmale Treppe hinauf
in den ersten Stock, in ein Labyrinth von winzigen Zimmern, die sich unter das
Dach schmiegten. Die meisten waren leer, aber in zweien fand er zwei Pritschen,
deren Matratzen hochgestellt an der Wand lehnten. Und noch etwas: Auf einem
Klapptisch in einem der Zimmer stand ein Apparat mit Knöpfen und Schaltern -
vermutlich ein Kurzwellenradio.
Er ging zum Auto zurück. Amy lag zusammengerollt
unter ihrer Decke und schlief. Sanft rüttelte er sie wach.
Sie richtete sich auf und rieb sich die Augen.
»Wo sind wir?«
»Zu Hause«, sagte er.
In jenen ersten Tagen auf dem Berg dachte er
immer wieder an Lila. Seltsamerweise verspürte er keine allgemeinere Neugier im
Hinblick auf die Welt und das, was da draußen jetzt vorging. Seine Tage waren
ausgefüllt mit Haushaltspflichten; er musste alles in Ordnung bringen und sich
um Amy kümmern, aber wenn seine Gedanken frei umherschweifen konnten,
wanderten sie lieber in die Vergangenheit und schwebten darüber wie ein Vogel
über einem grenzenlosen Meer, dessen Ufer nicht in Sicht war und wo nur das
ferne Spiegelbild seiner selbst in der funkelnden Oberfläche ihm Gesellschaft
leistete.
Es stimmte nicht, dass er sich sofort in Lila
verliebt hatte. Das entwickelte sich langsam. Er hatte sie an einem
winterlichen
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