brechen in einer Stunde auf,
sobald es hell wird. Vielleicht lässt sich aus dieser Katastrophe immer noch etwas
retten. Eine gute Nachricht gibt es immerhin: Tim hat in den letzten paar
Stunden anscheinend die Kurve gekriegt. Sein Fieber ist deutlich gesunken; er
reagiert zwar noch nicht, aber die Blutung hat aufgehört, und seine Haut sieht
besser aus. Aber für die andern, würde ich sagen, steht es immer noch auf
Messers Schneide.
Ich weiß, dein Gott ist die Wissenschaft, Paul,
aber wäre es zu viel verlangt, wenn du für uns beten würdest? Für uns alle.
Von:
[email protected] Datum: Dienstag,
21. Februar, 23:16
An:
[email protected] Betreff:
Jetzt weiß ich, warum die Soldaten hier sind.
3
Das Polunsky Unit des Texas Department of
Criminal Justice, auch bekannt unter dem Namen Terrell, lag in East Texas, auf
einem 15 km 2 großen Gelände mit Kiefernwald und Kurzgrasprärie. Von
außen unterschied es sich kaum von einem Verwaltungszentrum oder einer großen
Highschool. Für einen Schwarzen indes, der im Staat Texas wegen Mordes
verurteilt war, bedeutete es nur eines: Hierher kam man, um zu sterben.
An jenem Morgen im März saß Anthony Lloyd
Carter, Häftling Nr. 999642, verurteilt zum Tode durch die Giftspritze wegen
Mordes an Rachel Wood, einer Mutter von zwei Kindern aus Houston, deren Rasen
er allwöchentlich gegen Bezahlung von vierzig Dollar und einem Glas Eistee
gemäht hatte, seit eintausenddreihundertzweiunddreißig Tagen im Terrell Unit in
Einzelhaft - weniger als viele, länger als manche. Nicht dass es in Carters
Sicht der Dinge irgendetwas geändert hätte; man bekam keinen Preis dafür, dass
man am längsten hier gesessen hatte. Ändern würde sich erst an dem Tag etwas,
an dem der Direktor und der Priester in seiner Zelle erschienen und er den Trip
in den Raum mit der Nadel anträte, und dieser Tag war nicht mehr allzu weit
entfernt. Er durfte lesen, aber das fiel ihm nicht leicht, war ihm nie
leichtgefallen, und er hatte längst aufgehört, sich damit zu plagen. Seine
Zelle war eine Betonschachtel, zwei mal drei Meter, mit einem Fenster und einer
Stahltür, durch deren Schlitz er gerade mal die Hände schieben konnte. Das war
alles. Die meiste Zeit lag er auf seiner Pritsche, und sein Kopf war so leer
wie ein trockener Eimer. Die halbe Zeit hätte er nicht mal mit Sicherheit
sagen können, ob er wach war oder noch schlief.
Der Tag begann wie alle andern um drei Uhr
morgens, als sie das Licht einschalteten und die Frühstückstabletts durch die
Türschlitze schoben. Meistens gab es kaltes Müsli oder angerührtes Trockenei
oder Pfannkuchen; gut war ein Frühstück, wenn sie Peanut Butter auf die Pfannkuchen
strichen, und heute war es gut. Die Gabel war aus Plastik und brach meistens
ab; also setzte Carter sich auf seine Pritsche und aß die Pfannkuchen
zusammengerollt wie Tacos. Die anderen Männer im H-Flügel beschwerten sich über
das Essen; es sei scheußlich. Aber Carter fand es alles in allem gar nicht so
übel. Er hatte schon Schlimmeres gegessen, und es hatte Tage in seinem Leben
gegeben, da hatte er gar nichts gehabt, und deshalb waren Pfannkuchen mit
Peanut Butter am Morgen ein ganz willkommener Anblick, auch wenn es noch nicht
Morgen in dem Sinne war, dass es draußen hell war.
Natürlich gab es Besuchstage, doch Carter hatte
in der ganzen Zeit in Terrell nur ein einziges Mal Besuch gehabt, nämlich als
der Ehemann der Frau gekommen war und ihm erzählt hatte, er habe zu Jesus
Christus gefunden, welcher sei der Herr, und er habe für Carter gebetet, der
ihm und seinen Kindern seine wunderschöne Frau für alle Zeit genommen habe, und
in den Wochen und Monaten des Betens habe er sich damit abgefunden und
beschlossen, Carter zu verzeihen. Der Mann weinte viel, als er so auf der
anderen Seite der Scheibe saß und sich den Telefonhörer ans Ohr drückte. Carter
war selbst von Zeit zu Zeit in die Kirche gegangen, und er wusste zu schätzen,
was der Mann ihm da sagte. Aber so wie dieser es aussprach, erweckte es den
Eindruck, als denke er nur an sich. Es ging ihm besser, wenn er Carter verzieh.
Er sprach jedenfalls nicht davon, zu verhindern, was mit Carter passieren
würde. Carter wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Also dankte er dem
Mann und sagte, Gott segne Sie, es tut mir leid, und wenn ich Mrs Wood im
Himmel sehe, werde ich ihr erzählen, was Sie hier heute getan haben, und
daraufhin stand der Mann hastig auf und ließ ihn mit dem Hörer