Tagen unterwegs. Sorry, dass ich mich
nicht gemeldet habe, und sag Rochelle, sie soll sich keine Sorgen machen. Jeder
Schritt hier ist eine mühsame Schinderei unter dem dichten Laubdach und bei
tagelangem, unaufhörlichem Regen. Zu viel Arbeit, die Satellitenkommunikation
einzurichten. Abends hauen wir alle wie die Holzfäller rein und fallen dann
erschöpft in unsere Zelte. Und keiner hier riecht besonders gut.
Aber heute Abend bin ich zu aufgedreht zum
Schlafen. Das Attachment wird dir klarmachen, warum. Ich habe immer geglaubt an
das, was wir tun, aber natürlich hatte ich auch Augenblicke des Zweifels,
schlaflose Nächte, in denen ich mich gefragt habe, ob das alles nicht komplett
blödsinnig ist - irgendeine Fantasie, die mein Gehirn sich zusammengebraut
hat, als Uz so krank wurde. Ich weiß, du hast es auch gedacht. Es wäre dumm,
wenn ich meine eigenen Motive nicht in Frage stellen wollte. Aber ich tue es
nicht mehr.
Nach dem GPS sind wir noch gut zwanzig Kilometer
von der Stelle entfernt. Die Topografie stimmt mit den Satellitendaten
überein: ebenes Gelände mit dichtem Dschungel, aber am Fluss entlang eine
tiefe Schlucht mit Kalksteinwänden, die von Höhlen durchsiebt sind. Jeder
Amateurgeologe könnte in diesen Formationen lesen wie in einem offenen Buch:
die üblichen Schichten von Flusssedimenten, und dann, etwa vier Meter unterhalb
der Oberkante, ein kohlschwarzer Streifen. Das entspricht der Sage der Chucote:
Vor tausend Jahren wurde die ganze Gegend durch ein Feuer geschwärzt, »durch
eine mächtige Feuersbrunst, die der Gott Auxl schickte, der Herr der Sonne, um
die Dämonen des Menschen zu vernichten und die Welt zu erretten«. Wir haben
letzte Nacht am Flussufer campiert und die Schwärme der Fledermäuse gehört,
die bei Sonnenuntergang aus den Höhlen schwirrten. Heute Morgen sind wir in
östlicher Richtung durch die Schlucht weitermarschiert.
Kurz nach Mittag sahen wir die Statue.
Zuerst dachte ich, ich fantasiere mir etwas
zusammen. Aber sieh dir das Bild an, Paul. Ein menschliches Wesen und doch
wieder nicht: die tierhaft gebückte Haltung, die klauenartigen Hände, der mit
langen Zähnen dicht besetzte Mund, der muskulöse Oberkörper. Diese Details sind
aus irgendeinem Grund immer noch zu erkennen nach - ja, nach wie langer Zeit?
Wie viele Jahrhunderte lang haben Wind und Regen und Sonne den Stein
verwittert? Trotzdem hat es mir den Atem verschlagen. Und die Ähnlichkeit mit den
anderen Bildern, die ich dir gezeigt habe, ist unbestreitbar - die Pfeiler an
dem Tempel in Mansarha in Indien, die Reliefs an der Grabstätte in Xianyang,
die Höhlenzeichnungen in Cotes d'Amor.
Heute Abend wieder Fledermäuse. Man gewöhnt sich
an sie, und sie halten die Moskitos in Schach. Claudia hat eine Falle
aufgestellt, um eine zu fangen. Anscheinend mögen die Biester die
Dosenpfirsiche, die sie als Köder benutzt hat. Vielleicht möchte Alex lieber
eine zahme Fledermaus ...?
- J.
Von:
[email protected] Datum: Samstag,
18. Februar, 18:51
An:
[email protected] Betreff: Weitere
JPGs
Attachment: DSC00481.jpg
(596 kb), DSC00486.jpg (582 kb), DSC00491.jpg (697 kb)
Sieh dir das an. Wir haben jetzt neun Figuren
gezählt.
Cole glaubt, wir werden verfolgt, aber er sagt
mir nicht, von wem. Ist nur so ein Gefühl, sagte er. Die ganze Nacht
kommuniziert er über SATCOM, verrät allerdings nicht, worum es geht. Zumindest
hat er aufgehört, mich »Major« zu nennen. Er ist jung, aber nicht so grün, wie
er aussieht.
Endlich gutes Wetter. Wir sind dicht davor,
weniger als 10 km, und kommen gut voran.
Von:
[email protected] Datum: Sonntag,
19. Februar, 21:51
An:
[email protected] Betreff:
[ohne Text]
Von:
[email protected] Datum: Dienstag,
21. Februar, 01:19
An:
[email protected] Betreff:
Paul,
ich schreibe dir für den Fall, dass ich nicht
zurückkomme. Ich will dich nicht beunruhigen, aber ich muss die Lage
realistisch sehen. Wir sind weniger als fünf Kilometer von der Grabstätte
entfernt, doch ich bezweifle, dass wir die Ausgrabung wie geplant vornehmen
können. Zu viele hier sind krank oder tot.
Vor zwei Nächten wurden wir angegriffen - nicht
von Drogenbanden, sondern von Fledermäusen. Sie kamen ein paar Stunden nach
Sonnenuntergang, als die meisten von uns noch auf dem Lagerplatz mit den abendlichen
Erledigungen beschäftigt waren. Es war, als hätten sie uns die ganze Zeit
ausgespäht und auf den richtigen Augenblick für