Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
Vom Netzwerk:
noch Tag, und deshalb brannten
sie nicht. Die Luft war frisch und klar und so kalt, dass wir alle mit den
Füßen stampften und froren. Überall war Militär, und FEMA-LKWs standen da,
vollbeladen mit allen möglichen Sachen, mit Lebensmitteln und Gewehren und
Toilettenpapier und Kleidung; auf manchen waren auch Tiere - Schafe und Ziegen
und Pferde und Hühner in Käfigen und auch ein paar Hunde. Die Wächter stellten
uns alle in einer Reihe auf, wie sie es vorher auch getan hatten, und sie
schrieben unsere Namen auf, gaben uns saubere Kleider und führten uns in die
Zuflucht. Der Raum, in den sie uns brachten, war der, den fast alle kennen und
wo bis heute alle Kleinen schlafen. Ich nahm die Pritsche neben Terrence und
stellte ihm die Frage, die mir im Kopf herumging: Wo sind wir hier, Terrence?
Dein Daddy muss es dir doch gesagt haben, wenn er den Zug gebaut hat. Und
Terrence war einen Moment lang ganz still und sagte dann: Hier wohnen wir
jetzt. Die Scheinwerfer und die Mauern werden uns beschützen. Vor den Jumps,
und vor allem andern, bis der Krieg vorbei ist. Es ist wie in der Geschichte
von Noah: Das hier ist die Arche. Was für eine Arche, fragte ich, und wovon redest
du, und werde ich meine Mama und meinen Daddy je wiedersehen? Und er sagte,
ich weiß es nicht, Ida. Aber ich werde auf dich aufpassen, wie ich es
versprochen habe. Auf dem Bett auf der anderen Seite saß ein Mädchen, das
nicht älter war als ich. Sie weinte sich die Augen aus, und Terrence ging zu
ihr und sagte leise, wie heißt du denn? Ich passe auch auf dich auf, wenn du
willst. Da hörte sie auf. Sie war eine echte Schönheit, das war nicht zu
übersehen, obwohl sie schmutzig und erschöpft war wie wir alle. Ein
allerliebstes kleines Gesicht, und Haare, so hell und fein wie bei einem Baby.
Sie nickte und sagte, ja, bitte tu das, und wenn es dir nicht allzu viel Mühe
macht, kannst du auch auf meinen Bruder aufpassen. Ja, und dieses Mädchen,
Lucy Fisher, wurde meine allerbeste Freundin, und sie war es, die Terrence
später heiratete. Ihr Bruder hieß Rex, ein kleines Kerlchen und genauso hübsch
wie Lucy, nur eben so, wie ein Junge hübsch ist, und ich nehme an, Sie werden
wohl wissen, dass die Fishers und Jaxons seitdem immer auf die eine oder andere
Weise miteinander verbandelt waren.
    Niemand hat gesagt, es wäre meine Aufgabe, mich
an all das zu erinnern, aber ich glaube, wenn ich es nicht aufgeschrieben
hätte, wäre es inzwischen alles vergessen. Nicht nur, wie wir hergekommen sind,
sondern auch die Welt, die alte Welt aus der Zeit Davor, in der wir zu
Weihnachten Handschuhe und einen Schal gekauft haben und ich mit meinem Daddy
die Straße hinaufgegangen bin, um Wassereis zu holen, und in einer Sommernacht
am Fenster gesessen und zugesehen habe, wie die Sterne zu leuchten anfingen.
Sie sind inzwischen natürlich alle gestorben, die Ersten, die hier eintrafen.
Die meisten sind schon so lange tot, dass niemand sich auch nur an ihre Namen
erinnert. Wenn ich an diese Zeiten denke, empfinde ich keine Trauer. Ein
bisschen Trauer um Leute, die ich vermisse - wie Terrence, der mit siebenundzwanzig
befallen wurde, und Lucy, die kurz danach bei der Entbindung starb, und Mazie
Chou, die noch ziemlich lange lebte, dann allerdings auch verstarb, ich weiß
nicht mehr, woran. Blinddarmentzündung, glaube ich, oder der Krebs. Am schwersten
fällt es, an die zu denken, die einfach aufgegeben haben, wie es im Laufe der
Jahre so viele getan haben. Die es schließlich selbst in die Hand genommen
haben, aus Trauer oder Sorge, oder weil sie die Last dieses Lebens einfach
nicht mehr weiter tragen wollten. Sie sind es, von denen ich träume. Sie haben
die Welt unvollendet verlassen und wissen nicht mal, dass sie fort sind. Aber
vermutlich gehört es zum Alter, dass man so empfindet. Man ist halb in einer
Welt und halb in der anderen, und alles fließt im Kopf durcheinander. Es ist
niemand mehr da, der auch nur weiß, wie ich heiße. Die Leute nennen mich
»Auntie«, weil ich immer nur die Tante für alle war und selbst nie Kinder
haben konnte, und ich glaube, das ist mir ganz recht. Manchmal ist es, als
hätte ich so viele Leute in mir, dass ich überhaupt nicht allein bin. Und wenn
ich gehe, werde ich sie mitnehmen.
    Die Wächter sagten uns, die Army würde
wiederkommen und noch mehr Kinder und Soldaten herbringen, aber das ist nie
passiert. Die Busse und Lastwagen fuhren weg, und als es dunkel wurde,
verschlossen sie die Tore, und dann gingen die

Weitere Kostenlose Bücher