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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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werden
musste.
    Peter sog die Abendluft tief in die Lunge und
hielt den Atem an. Er wusste, die Sterne würden bald hervorkommen. Auntie hatte
oft von den Sternen gesprochen, genau wie sein Vater: über den Himmel verstreut
wie leuchtende Sandkörner, mehr Sterne als alle Seelen, die je gelebt hatten,
unmöglich zu zählen. Wenn sein Vater von ihnen gesprochen und von den Langen
Ritten und den Dingen erzählt hatte, die er gesehen hatte, war das Licht der
Sterne in seinen Augen gewesen.
    Aber Peter würde die Sterne heute Nacht nicht
sehen. Die Glocke läutete wieder, zwei harte Schläge, und Peter hörte Soo
Ramirez von unten rufen: »Macht das Tor frei! Macht das Tor frei zur Zweiten
Glocke!« Ein tiefes, markerschütterndes Erschauern lief durch die Mauer unter
ihm, als die Gewichte einrasteten. Mit metallischem Kreischen glitten die Tore,
zwanzig Meter hoch und einen halben Meter dick, aus ihren Fugen in der Mauer.
Peter nahm seine Armbrust von der Plattform und wünschte sich im Stillen, dass
der neue Tag kommen möge, ohne dass er sie benutzt hätte. Und dann strahlten
die Scheinwerfer auf.
     
    20
     
    Log der Wache Sommer 92
     
    Tag 41: Keine Sichtung.
    Tag 42: Keine Sichtung.
    Tag 43: 23:06: Einzelner
Viral gesichtet auf 200 m, Feuerposten 3. Keine Näherung.
    Tag 44: Keine Sichtung.
    Tag 45: 02:00: Schwarm von 3
bei FP 6. Ein Ziel bricht aus und attackiert die Mauer. Pfeilschüsse von FP
5/6. Ziel zieht sich zurück. Kein weiterer Kontakt.
    Tag 46: Keine Sichtung.
    Tag 47: 01:15: Läufer Kip
Darreil meldet Bewegung am Schussfeld NW zwischen FP 9 und FP 10. Keine
Bestätigung durch Wache auf Posten. Offiziell registriert als Keine Sichtung.
    Tag 48: 21:40: Schwarm von 3
bei FP 1, 200 m. Ein Ziel nähert sich bis auf 100 m, zieht sich dann zurück.
    Tag 49: Keine Sichtung.
    Tag 50: 22:15: Schwarm von 6
bei FP 7. Jagen Kleinwild. Keine Näherung.
    Glocke 23:05: Schwarm von 3
bei FP 3.2 männlich, 1 weiblich. Schweres Gefecht, 1 Knock-out, Abschuss durch
Arlo Wilson, Adjut. bei Alicia Donadio, 2. Captain. Auftrag zur
Kadaverbeseitigung an Schwerarbeit. Reparaturmeldung an
Schwerarbeit wg. Fugenriss am Aufstieg zu FP 6; für Schwerarbeit
entgegengenommen durch Finn Darrell.
     
    Während dieser Zeit insgesamt: 6 Kontakte, 1 unbestätigt, 1 Knock-out. Keine Seelen
getötet oder befallen.
     
    Hochachtungsvoll dem Haushalt vorgelegt durch
S.C. Ramirez, First Captain
     
    Im Geflecht all dieser Ereignisse hat das
Verschwinden von Theo Jaxon - Mitglied einer Ersten Familie und Second Captain
der Wache - seinen Anfang im Grunde schon zwölf Tage zuvor genommen, am Morgen
des Einundfünfzigsten des Sommers, nach einer Nacht, in der Wächter Arlo Wilson
einen Viral erlegt hatte.
    Der Angriff war am frühen Abend aus südlicher
Richtung gekommen, in der Nähe des Feuerpostens drei. Auf seinem Posten an der
gegenüberliegenden Seite der Mauer hatte Peter nichts davon mitbekommen. Erst
in den frühen Morgenstunden, als die Nachschubeinheit sich am Tor versammelte,
erhielt er einen umfassenden Bericht.
    Der Angriff war in fast jeder Hinsicht typisch
verlaufen. Das ganze Jahr über kam so etwas vor, allerdings am häufigsten im
Sommer. Ein Dreierschwarm, zwei männliche und ein weiblicher Viral: Soo Ramirez
vermutete - und andere stimmten ihr zu -, es handelte sich vermutlich um
denselben Schwarm, der im Laufe der vorigen fünf Nächte zweimal gesichtet
worden war, wie er am Rand des Schussfeldes herumstrich. So ging es oft, über
mehrere Nächte zog es sich hin. Eine Gruppe von Virais tauchte am Rand des
Scheinwerferlichts auf, anscheinend um die Verteidigungsanlagen der Kolonie zu
erkunden. Danach folgten zwei Nächte ohne Sichtung, und dann erschienen sie
wieder und kamen näher heran. Manchmal brach einer von ihnen aus, um das Feuer
auf sich zu ziehen, aber immer zogen sie sich wieder zurück. Und in der dritten
Nacht kam dann der Angriff. Die Mauer war viel zu hoch, als dass selbst der
stärkste Viral mit einem Sprung heraufkommen konnte. Sie mussten die Fugen
zwischen den Steinen benutzen, um Halt für die Zehen zu finden. Die Feuerplattformen
mit ihren Stahlnetzen befanden sich auf der Mauerkrone. Jeder Viral, der so
weit kam, war meistens vom Scheinwerferlicht geschwächt, schwerfällig und
desorientiert, und viele zogen sich an dieser Stelle einfach wieder zurück.
Wenn sie es nicht taten, klammerten sie sich an die Stahlgitter und streckten
den Kopf so weit nach hinten, dass der Wächter auf dem Posten

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