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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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stand
Arlo mit ein paar anderen vor dem Tor beisammen. Sie gehörten zu der
Nachschubeinheit, die zum Kraftwerk hinausgehen würde, um die
Wartungsmannschaft abzulösen und die Magazine aufzufüllen. Üblicherweise
bestand ein solcher Trupp aus sechs Mann: jeweils zwei Wächter als Vor- und
Nachhut, und zwischen ihnen zwei Schwerarbeiter - alle nannten sie nur
»Schrauber« - auf ihren Maultieren. Diese beiden hatten die Aufgabe, die
Windturbinen zu warten, die den Strom für die Scheinwerfer lieferten. Ein
drittes Maultier, eine Stute, zog den kleinen Karren mit dem Nachschub: hauptsächlich
Lebensmittel und Trinkwasser, aber auch Werkzeug und Schläuche mit
Schmierfett. Das Fett wurde aus Maismehl und ausgelassenem Schafstalg
hergestellt, und schon jetzt summte eine Wolke von Fliegen über dem Karren,
angelockt von dem Geruch.
    Gleich würde die Morgenglocke läuten. Die beiden
Schrauber, Rey Ramirez und Finn Darreil, sahen das Nachschubmaterial durch, und
die Wächter saßen im Sattel und warteten. Theo, der verantwortliche Offizier,
übernahm die Spitze neben Peter, und die Nachhut bildeten Arlo und Mausami
Patal. Mausami kam aus einer Ersten Familie, und ihr Vater Sanjay war Oberhaupt
des Haushalts. Aber im Sommer zuvor hatte sie Galen Strauss geheiratet, und so
war sie jetzt eine Strauss. Peter kapierte es immer noch nicht so ganz.
Ausgerechnet Galen. Er war ein durchaus sympathischer Kerl, aber letzten Endes
hatte er etwas Verstörendes an sich. Als sei Galen Strauss nur annähernd er
selbst. Vielleicht lag es daran, dass er immer blinzelte (dabei wussten alle,
dass er schlechte Augen hatte), vielleicht auch an seiner geistesabwesenden
Art. Was immer es war, man sollte meinen, dass er der Letzte wäre, den Mausami
sich aussuchen würde. Theo hatte es zwar nie gesagt, aber Peter vermutete,
dass er darauf gehofft hatte, Mausami eines Tages selbst zu heiraten. Theo und
Mausami waren zusammen in der Zuflucht aufgewachsen; sie waren im selben Jahr
entlassen worden und hatten ihre Lehre bei der Wache angetreten, und die
Nachricht von ihrer Verheiratung mit Galen hatte ihn schwer getroffen.
Tagelang hatte er Trübsal geblasen und kaum ein Wort gesprochen. Als Peter
schließlich selbst davon anfing, hatte Theo nur gesagt, er habe kein Problem
damit. Wahrscheinlich habe er nur zu lange gewartet. Er wolle, dass Maus
glücklich sei, und wenn Galen derjenige sei, der dafür sorgen könne, dann sei
es eben so. Theo war nicht der Mann, der über solche Dinge sprach, nicht einmal
mit seinem Bruder. Also war Peter nichts anderes übriggeblieben, als ihm zu
glauben. Aber Theo hatte ihm beim Reden nicht in die Augen gesehen.
    Das war Theos Art. Wie ihr Vater war er ein
Mann, der durch sein Schweigen ebenso viel mitteilte wie mit Worten. Wenn Peter
sich in den folgenden Tagen an diesen Morgen am Tor erinnerte, fragte er sich
immer wieder, ob sein Bruder irgendwie verändert gewesen war, ob es irgendein
Anzeichen dafür gegeben hatte, dass er vielleicht wusste - wie ihr Vater es
gewusst hatte -, was passieren würde: dass er zum letzten Mal durch dieses Tor
ritt. Aber da war nichts. Alles an diesem Morgen war gewesen wie immer. Eine
ganz normale Nachschubexpedition, und Theo saß mit gewohnter Ungeduld auf
seinem Pferd und befingerte den Zügel.
    Während er auf die Glocke wartete, die ihnen das
Zeichen zum Aufbruch gab, und sein Reittier unter ihm rastlos mit den Hufen
scharrte, hing Peter seinen Gedanken nach, deren ganze Bedeutung er erst später
verstehen würde. Als er den Kopf hob, sah er, dass Alicia vom Arsenal her
zielstrebig auf sie zukam. Er erwartete, dass sie vor Theo stehen bleiben
würde: zwei Captains, die sich besprachen, vielleicht die Ereignisse der Nacht
und eine mögliche Smoke-Jagd auf den Rest des Schwarms erörterten. Aber das war
es nicht. Sie marschierte geradewegs an Theo vorbei nach hinten.
    »Vergiss es, Maus«, rief Alicia in scharfem Ton.
»Du gehst nirgendwohin.«
    Mausami sah sich um. Peter erkannte sofort, dass
ihre Verwirrung gespielt war. Alle fanden, es sei ein Glück, dass Maus das
Aussehen ihrer Mutter geerbt habe: das gleiche sanfte, ovale Gesicht, das volle
schwarze Haar, das in dunklen Wellen auf ihre Schultern fiel, wenn sie es löste.
Sie war schwerer als viele andere Frauen, aber sie bestand aus lauter Muskeln.
    »Was meinst du damit? Warum?«
    Alicia blieb vor ihr stehen und stemmte die
Hände in die schmalen Hüften. Selbst im kühlen Licht des Morgengrauens
leuchtete ihr Haar, das

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