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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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und alles andere. Und dann fingen sie wieder von vorn an.
    Elton war blind zur Welt gekommen, aber deshalb
hatte Michael eigentlich kein Mitleid mit ihm. Es war einfach so. Die
radioaktive Strahlung war schuld daran gewesen. Eltons Eltern waren Walker
gewesen, Teil der Zweiten Welle von Flüchtlingen, vor etwas mehr als fünfzig
Jahren, als die Siedlungen in Baja überrannt worden waren. Die Überlebenden
waren geradewegs durch die verstrahlten Ruinen von San Diego gelaufen, und als
der Trupp hier ankam, achtundzwanzig Seelen, hatten diejenigen, die noch stehen
konnten, die andern getragen. Eltons Mutter war schwanger gewesen, im
Fieberdelirium, sie hatte ihn geboren und war gestorben. Sein Vater hätte
jeder sein können. Niemand erfuhr je den Namen.
    Im Großen und Ganzen kam Elton gut zurecht. Er
hatte einen Stock, den er benutzte, wenn er das Lichthaus verließ, was nicht
allzu oft vorkam, und anscheinend war er damit zufrieden, seine Tage am
Steuerpult zu verbringen und sich auf die einzige Weise nützlich zu machen, die
er verstand. Neben Michael wusste er mehr über die Akkus Bescheid als
irgendjemand sonst - eine erstaunliche Leistung, wenn man bedachte, dass er sie
nie gesehen hatte. Aber Elton behauptete, das sei sein Vorteil, denn so könne
er sich durch den bloßen Anschein nicht täuschen lassen.
    »Diese Akkus sind wie eine Frau, Michael«, sagte
er gern. »Du musst lernen, ihnen zuzuhören.«
    Jetzt, am Abend des Vierundfünfzigsten des
Sommers, kurz vor der Ersten Abendglocke - vier Tage, nachdem Arlo Wilson einen
Viral getötet hatte -, überprüfte Michael auf dem Monitor die Leistung der Akkus,
eine Balkengrafik für jede der sechs Zellen. Vierundfünfzig Prozent auf zwei
und drei, eine Idee unter fünfzig bei fünf und vier, glatte fünfzig bei eins
und sechs, und die Temperatur bei allen im grünen Bereich: einunddreißig Grad.
Die Windgeschwindigkeit unten am Berg betrug gleichmäßige dreizehn km/h, in
Böen bis zu zwanzig. Michael ging die Checkliste durch, er lud die
Kondensatoren und testete alle Relais. Was hatte Alicia gesagt? Ihr drückt auf
einen Knopf, und sie gehen an? So wenig Ahnung hatten die Leute.
    »Du solltest die zweite Zelle noch einmal checken«,
sagte Elton. Er saß auf seinem Stuhl und löffelte sich Ziegenquark aus einem
Becher in den Mund.
    »Die zweite Zelle ist in Ordnung.«
    »Mach's einfach. Vertrau mir.«
    Seufzend sah Michael noch einmal auf seinen
Bildschirm. Und tatsächlich: Nummer zwei fiel ab. Vierundfünfzig.
Zweiundfünfzig. Und die Temperatur stieg langsam an. Er hätte Elton gefragt,
woher er es wusste, aber dann hätte er die übliche Antwort bekommen - eine geheimnisvolle
Neigung des Kopfes, die sagte: Ich hab's gehört,
Michael.
    »Öffne das Relais«, riet Elton. »Vielleicht geht
es dann ja wieder.«
    Bis zur Zweiten Abendglocke waren es nur noch
wenige Augenblicke. Na ja, sie könnten die übrigen fünf Zellen hochfahren, wenn
es nötig war, und dann feststellen, wo das Problem lag. Michael öffnete das Relais,
wartete einen Augenblick, damit das Gas, das vielleicht in der Leitung war,
entweichen konnte, und schloss es dann wieder. Die Anzeige stand gleichmäßig
auf fünfundfünfzig.
    »Eine Störung, weiter nichts«, sagte Elton, als
die Zweite Glocke ertönte. »Aber dieses Relais ist ein bisschen zickig. Wir
sollten es auswechseln.«
    Die Tür des Lichthauses öffnete sich. Elton hob
den Kopf. »Bist du das, Sara?«
    Michaels Schwester kam herein, immer noch in
Reitkleidung und staubbedeckt, »'n Abend, Elton.«
    »Was rieche ich denn da an dir?« Sein Grinsen
reichte von einem Ohr zum andern. »Bergflieder?«
    Sie strich eine Strähne ihres schweißfeuchten
Haars hinter das Ohr. »Ich rieche nach Schafen, Elton. Aber vielen Dank.« Sie
sah Michael an. »Kommst du heute Abend nach Hause? Ich dachte, ich könnte was
kochen.«
    Wahrscheinlich, dachte Michael, sollte er
bleiben, wo er war, nachdem eine der Zellen Mätzchen gemacht hatte. Außerdem
war die Nacht die beste Zeit fürs Funken. Aber er hatte den ganzen Tag noch
nichts gegessen, und bei dem Gedanken an eine warme Mahlzeit fing sein leerer
Magen an zu knurren.
    »Was dagegen, Elton?«
    Der alte Mann zuckte die Achseln. »Ich weiß ja,
wo ich dich finde, wenn ich dich brauche. Geh nur.«
    »Soll ich dir was bringen?«, fragte Sara, als
Michael aufstand. »Wir haben genug.«
    Aber Elton schüttelte den Kopf, wie er es immer
tat. »Heute Abend nicht, danke.« Er nahm die Kopfhörer in die

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