Cronin, Justin
Babcock.
Babcock. Babcock. Babcock.
Er hatte in Babcock damals einen imaginären
Freund gesehen - nicht anders eigentlich als in einem Spiel der Fantasie. Aber
das Spiel hörte nicht auf. Babcock war immer bei ihm, im Großen Saal und im
Hof, beim Essen und wenn er abends ins Bett ging. Was in diesem Traum passierte,
fühlte sich nicht anders an als in allen anderen Träumen, die er hatte. Es
waren die üblichen Dinge, albern und kindisch: in der Badewanne sitzen, auf
den Autoreifen spielen, ein Eichhörnchen beobachten, das Nüsse fraß. Manchmal
träumte er so etwas, und manchmal träumte er von der dicken Frau in der Zeit
Davor, und das alles war ohne Sinn und Verstand.
Er erinnerte sich an einen Tag vor langer Zeit,
als sie im Kreis im Großen Saal gesessen hatten und die Lehrerin gesagt hatte:
Sprechen wir darüber, was es bedeutet, ein Freund zu sein. Die Kinder hatten
gerade zu Mittag gegessen, und er war erfüllt von dem warmen, schläfrigen
Gefühl, das danach kam. Die anderen Kleinen lachten und alberten herum, aber
er nicht; er war nicht so, er tat, was man ihm sagte, und als die Lehrerin in
die Hände klatschte, um sie zur Ruhe zu bringen, hatte sie ihn angesehen, weil er
als Einziger so brav war. Ihr gütiges Gesicht versprach, dass sie ihm jetzt ein
Geschenk machen würde, das wunderbare Geschenk ihrer Aufmerksamkeit, und dann
sagte sie: Erzähl uns, kleiner Sanjay, wer sind deine
Freunde?
»Babcock«, antwortete er.
Er musste nicht lange nachdenken. Das Wort war
ganz von allein aus seinem Mund gekommen. Sofort erkannte er, wie groß der
Fehler gewesen war, diesen geheimen Namen auszusprechen: Als er ungeschützt in
der Luft hing, schien er zu welken, zu schrumpfen. Die Lehrerin runzelte
ratlos die Stirn. Das Wort sagte ihr nichts. Babcock?, wiederholte sie. Hatte
sie richtig gehört? In diesem Augenblick begriff Sanjay, dass nicht alle
wussten, wer es war. Natürlich nicht. Wie kam er darauf, dass sie es wussten?
Babcock war etwas Besonderes, etwas, das ihm allein gehörte, und dass er den
Namen so gedankenlos ausgesprochen hatte, nur weil er gefällig und brav sein
wollte, war ein Fehler gewesen. Mehr als ein Fehler: eine Entweihung. Indem er
den Namen aussprach, hatte er ihm seine Besonderheit genommen. Wer
ist Babcock, kleiner Sanjay? In der furchtbaren
Stille, die jetzt eintrat - alle Kinder waren verstummt, gebannt von diesem
fremdartigen Wort -, hörte er jemanden kichern. In seiner Erinnerung war es
Demo Jaxon, den er schon damals gehasst hatte. Aber dann kicherte noch einer
und noch einer, und das spöttische Gelächter wanderte im Kreis der Kinder herum
wie die Funken um ein Feuer. Demo Jaxon - natürlich war er es gewesen. Sanjay
kam auch aus einer Ersten Familie, aber Demo mit seinem lockeren Lächeln und
seiner Beliebtheit benahm sich, als gebe es noch eine zweite, vornehmere
Kategorie, die Ersten der Ersten, und zu denen gehöre niemand außer ihm, Demo
Jaxon.
Am meisten kränkte ihn jedoch Raj. Der kleine
Raj, zwei Jahre jünger als Sanjay, hätte ihn respektieren und den Mund halten
sollen, aber auch er lachte mit. Er saß im Schneidersitz links neben Sanjay -
wenn Sanjay auf sechs Uhr und Demo auf dem Mittag saß, war Raj irgendwo im
Vormittag -, und Sanjay sah entsetzt, wie sein kleiner Bruder Demo einen
kurzen, fragenden Blick zuwarf und seinen Beifall suchte. Siehst
du?, fragte sein Blick. Siehst
du, dass ich mich auch über Sanjay lustig machen kann? Die
Lehrerin klatschte wieder in die Hände und versuchte, sie zur Ordnung zu rufen.
Sanjay wusste, wenn er nicht schnell reagierte, würde ihn diese Sache in alle
Ewigkeit verfolgen. Immer würde der schrille Chor ihres Gelächters in den Ohren
gellen - beim Essen, nach dem Löschen des Lichts, im Hof, wenn die Lehrerin
ihnen den Rücken zugedreht hätte. Babcock! Babcock!
Babcock! Wie ein unanständiges Wort oder Schlimmeres. Sanjay
hat einen kleinen Babcock!
Er wusste, was er sagen musste.
»Verzeihung, Lehrerin. Ich meinte Demo. Demo ist
mein Freund.« Er schenkte dem kleinen Jungen, der ihm gegenübersaß, sein
ernsthaftestes Lächeln, diesem Jungen mit dem dunklen Haarschopf - Jaxon-Haar
-, den perlweißen Zähnen und dem rastlos umherwandernden Blick. Wenn Raj es
konnte, konnte er es auch. »Demo Jaxon ist mein allerbester Freund.«
Seltsam, dass er sich jetzt, so viele Jahre
später, an diesen Tag erinnerte. Demo Jaxon, spurlos verschwunden, und Willem,
und auch Raj. Die Hälfte der Kinder, die an jenem Nachmittag im
Weitere Kostenlose Bücher