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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Kreis gesessen
hatten, waren inzwischen tot oder befallen. Die Dunkle Nacht hatte die meisten
geholt, und die Übrigen waren auf ihre Weise verschwunden, jeder zu seiner
Zeit. Es war wie ein langsames Nagen, ein Gefressenwerden. So war das Leben, so
fühlte es sich an. So viele Jahre waren seitdem vergangen - das Verstreichen der
Zeit an sich war schon so etwas wie ein Wunder -, und Babcock war stets bei ihm
gewesen. Wie eine leise drängende Stimme in ihm, die ihm ein Freund war, wenn
andere es nicht sein konnten, auch wenn sie nicht immer in Worten redete.
Babcock war sein Gefühl für die Welt. Seit dem Tag in der Zuflucht hatte er nie
wieder von ihm gesprochen.
    Tatsächlich war es nach und nach noch einmal zu
etwas anderem geworden, dieses Gefühl von Babcock, und auch die Träume hatten
sich verändert. Nicht der mit der dicken Frau aus der Zeit Davor, den er ab und
zu immer noch träumte. (Und wenn er es sich überlegte - was hatte er eigentlich im Lichthaus gewollt, in jener seltsamen
Nacht? Er wusste es nicht mehr.) Es ging nicht mehr um die Vergangenheit,
sondern um die Zukunft und um seinen Platz, um Sanjays Platz in dem Neuen, das
sich darin entfaltete. Etwas würde geschehen, etwas Großes. Er wusste nicht
genau, was. Die Kolonie konnte nicht ewig bestehen, da hatte Demo recht gehabt,
und Joe Fisher auch. Irgendwann würde das Licht ausgehen. Sie lebten von
geborgter Zeit. Die Army war fort, tot, und sie würde nie mehr kommen. Ein paar
Leute klammerten sich noch immer an diesen Gedanken, aber nicht er, nicht
Sanjay Patal. Nein - was immer da kommen würde, die Army war es nicht.
    Natürlich wusste er von den Gewehren. Die
Gewehre waren kein richtiges Geheimnis. Demos Gewehre, aus dem Bunker der
Army. Nicht Raj hatte ihm davon berichtet. Damit hatte Sanjay auch gar nicht
gerechnet, aber dass sein Bruder mit Demo gemeinsame Sache machte, kränkte
ihn. Raj hatte Mimi von dem Versteck erzählt und die hatte es Gloria
weitererzählt. Mimi, Rajs schwatzhafte Frau, konnte ein Geheimnis nicht länger
als fünf Sekunden für sich behalten; sie war schließlich eine Ramirez. Und
Gloria hatte sich eines Morgens beim Frühstück verplappert, in den Tagen,
nachdem Demo Jaxon völlig unbewaffnet zum Tor hinausgeschlüpft war. Ich weiß
nicht genau, ob du davon wissen sollst, hatte sie gesagt.
    Zwölf Kisten, hatte sie mit vertraulich
gesenkter Stimme erzählt, mit dem ganzen Ernst einer eifrigen Schülerin. Unten
im Kraftwerk, hinter einer verschiebbaren Wand. Blitzblanke neue Gewehre, Army-Geweh re
aus einem Bunker, den Demo und Raj und die andern gefunden hatten. War das
wichtig?, hatte Gloria wissen wollen. War es richtig gewesen, dass sie es ihm
erzählte? Aber ihre Bangigkeit war nur gespielt. Ihre Stimme sagte das eine,
doch in ihren Augen hatte er die Wahrheit gesehen. Sie wusste, was diese
Gewehre bedeuteten. Ja, hatte er gesagt und gleichmütig genickt. Ja, ich
glaube, es könnte wichtig sein. Ich glaube, am besten behalten wir es für uns.
Danke, Gloria, dass du es mir gesagt hast.
    Sanjay bildete sich nicht ein, er sei der
Einzige. Er war an jenem Morgen geradewegs zu Mimi gegangen und hatte ihr
unmissverständlich verboten, irgendjemandem davon zu erzählen. Aber ein solches
Geheimnis zu bewahren, war unmöglich. Zander musste Bescheid wissen. Das
Kraftwerk war sein Reich. Wahrscheinlich war auch Old Chou informiert, denn
Demo hatte ihm immer alles erzählt. Dass Soo davon wusste, glaubte er nicht,
und auch nicht Jimmy oder Dana, Willems Tochter. Sanjay hatte ihnen vorsichtig
auf den Zahn gefühlt und nichts Verräterisches entdecken können. Aber sicher
gab es noch andere. Theo Jaxon zum Beispiel - und wem konnte der es anvertraut
haben? Wem hatten diese Leute - ganz im Vertrauen, wie Gloria beim Frühstück -
zugeflüstert: »Ich muss dir ein Geheimnis verraten«? Die Frage war also nicht,
ob die Gewehre zum Vorschein kommen würden, sondern nur, wann und unter welchen
Umständen. Und die zweite Frage - er hatte seine Lektion in der Zuflucht
gelernt - lautete: Wer war wessen Freund?
    Deshalb hatte er gewollt, dass Mausami mit dem
Wachdienst aufhörte, sich von Theo Jaxon fernhielt.
    Sanjay wusste es seit dem Tag ihrer Geburt: Sie
war der Grund für alles. Natürlich gab es Zeiten - noch bis heute -, da
wünschte sich Sanjay einen Sohn. Er spürte, dass es sein Leben vollkommen
gemacht hätte. Aber Gloria war einfach nicht fähig gewesen, ihm einen Sohn zu
schenken: die üblichen Fehlgeburten und

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