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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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einmal der keusche Kuss eines
Kindes, obwohl etwas Kindliches dabei gewesen war: die verstohlene Hast, die
verlegene Schnelligkeit, mit der es vorbei gewesen war, fast bevor es
angefangen hatte, und der jähe Rückzug des Mädchens, das wieder im Flur
verschwunden war, bevor er ein Wort hatte sagen können, und ihm die Tür vor der
Nase zugeschlagen hatte. Es war alles das und nichts davon, und erst als er
sie im Krankenrevier gesehen hatte, war ihm klargeworden, was es gewesen war:
ein Versprechen. Ein Versprechen, so unmissverständlich wie ein Wort von einem
Mädchen, das keine Worte hatte. Ein Kuss, der sagte: Ich
werde dich finden.
    Jetzt stand er mit Alicia versteckt hinter ein
paar Zypressen an der Wand der Zuflucht, und sie sahen zu, wie Sanjay
davonging. Jimmy folgte ihm einen Augenblick später und ließ Ben und Galen im
Schatten der Veranda auf ihrem Posten zurück. Jimmys Gang hatte etwas Sonderbares,
fand Peter, eine richtungslose Mattigkeit, als wisse er nicht genau, wohin er
gehen oder was er mit sich anfangen sollte.
    Alicia schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht,
dass wir die beiden beschwatzen können, uns reinzulassen.«
    »Komm«, sagte er.
    Er führte sie zur Rückseite des Gebäudes, in
eine kleine Gasse zwischen dem Krankenrevier und den Treibhäusern. Die
Hintertür und sämtliche Fenster der Rückfront waren zugemauert, aber hinter
einem Stapel leerer Kisten verbarg sich eine stählerne Luke. Darunter war eine
alte Anlieferungsrutsche, die in den Keller hinunterführte. Manchmal, wenn
seine Mutter hier abends allein Dienst getan hatte, hatte sie ihn herkommen und
dort rutschen lassen.
    Er klappte die Luke hoch. »Rein mit dir.«
    Alicia ließ sich hineinfallen. Er hörte, wie sie
gegen die Wände der Rutsche prallte, und dann kam ihre Stimme von unten:
»Okay.« Er packte die Ränder des Einstiegs, ließ sich hinunter und klappte die
Luke über seinem Kopf wieder zu. Plötzliche Dunkelheit umgab ihn, und er erinnerte
sich, dass es ein Teil des Nervenkitzels gewesen war, im Dunkeln
hinunterzurutschen. Er ließ los.
    Eine kurze, ratternde Schussfahrt, und dann
landete er auf den Füßen. Der Kellerraum war, das wusste er noch, voll von
Kisten und Material. Zur Rechten lag der alte begehbare Kühlschrank mit
zahllosen Glasbehältern im Wandregal, und in der Mitte stand der breite Tisch
mit Waage, Instrumenten und abgebrannten Kerzenstummeln. Alicia stand am Fuße
der Treppe, die zum Vorzimmer des Krankenreviers führte, und reckte den Kopf in
den Lichtstrahl, der von oben herunterfiel. Das obere Ende der Treppe war von
der Veranda aus sichtbar; an den Fenstern vorbeizukommen, würde schwierig
werden.
    Peter stieg als Erster hinauf und spähte
Richtung Veranda. Er war noch nicht hoch genug, um etwas erkennen zu können,
aber er hörte die gedämpften Stimmen der beiden Männer, die vorhin noch mit dem
Rücken zur Wand gestanden hatten. Er drehte sich zu Alicia um, gab ihr zu
verstehen, was er vorhatte, und dann lief er schnell weiter und huschte leise
durch den Vorraum zu dem Gang, der zur Station führte.
    Das Mädchen war wach und saß aufrecht im Bett.
Das war das Erste, was er sah. Ihre blutgetränkten Kleider waren fort, und sie
trug ein dünnes Hemd, unter dem der weiße Verband zu sehen war. Sara saß abgewandt
auf der Kante des schmalen Betts und hielt das Handgelenk des Mädchens.
    Das Mädchen hob den Blick und sah ihn an. Panik
durchzuckte sie: Sie riss die Hand weg und rutschte zum Kopfende des Bettes
hinauf. Sara sprang auf und fuhr herum.
    »Um Himmels willen, Peter!« Ihr ganzer Körper
war angespannt, und ihre Stimme war ein heiseres Flüstern. »Wie zum Teufel bist
du hier hereingekommen? «
    »Durch den Keller«, antwortete Alicia hinter
ihm. Das Mädchen hatte sich zu einer Kugel zusammengekrümmt, die Knie wie eine
schützende Barrikade an die Brust gepresst und das weite Hemd um die Beine gezogen,
die sie mit beiden Händen umklammerte.
    »Was ist passiert?«, fragte Alicia. »Ihre
Schulter war noch vor ein paar Stunden völlig zerfetzt.«
    Erst jetzt entspannte Sara sich wieder. Sie
stieß einen müden Seufzer aus und setzte sich auf das Nachbarbett.
    »Ich kann's euch ja sagen. Soweit ich sehen
kann, ist sie völlig gesund. Die Wunde ist praktisch verheilt.«
    »Wie ist das möglich?«
    Sara schüttelte den Kopf. »Ich habe keine
Erklärung dafür. Aber ich glaube, sie will nicht, dass es jemand weiß. Sanjay
war eben mit Jimmy hier. Wenn jemand hereinkommt, stellt sie

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