Cronin, Justin
starrte immer noch auf sein Blatt, als
könne er noch etwas ablegen. »Das wusste ich nicht.«
»Immer.«
Bis zur Ersten Glocke waren es nur noch wenige
Augenblicke. Es würde merkwürdig sein, dachte Peter, diese Nacht nicht bei der
Wache zu verbringen.
»Was machst du, wenn Sam wiederkommt?«, fragte
er.
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich versuche ich,
es ihm auszureden.«
»Und wenn du das nicht kannst?«
Sie ließ eine Schulter hängen und zog die Stirn
kraus. »Dann werde ich es anders lösen.«
Sie hörten die Erste Glocke.
»Du musst das nicht tun, weißt du«, sagte
Alicia.
Du auch nicht, hätte er beinahe gesagt. Aber er
wusste, dass es nicht stimmte.
»Glaub mir«, sagte Alicia, »nach der Zweiten
Glocke passiert hier nichts mehr. Heute Nacht verkriechen sich wahrscheinlich
alle in ihren Häusern. Du solltest noch mal bei Sara vorbeischauen. Und bei
Akku. Stell fest, ob er etwas herausgefunden hat.«
»Was glaubst du, wer sie ist?«
Alicia zuckte die Achseln. »Soweit ich sehen kann,
ist sie nur ein verängstigtes Kind. Das erklärt aber nicht das Ding in ihrem
Nacken und auch nicht, wie sie da draußen überlebt hat. Vielleicht erfahren wir
es nie. Mal sehen, was Michael herausfindet.«
»Aber glaubst du mir, was ich erzählt habe? Was
sie in der Mall getan hat?«
»Natürlich glaube ich dir, Peter.« Alicia sah
ihn stirnrunzelnd an. »Warum soll ich dir nicht glauben?«
»Es ist eine ziemlich verrückte Geschichte.«
»Wenn du sagst, es ist passiert, dann ist es
passiert. Ich habe noch nie an dir gezweifelt, und ich werde jetzt nicht damit
anfangen.« Sie schaute ihn einen Moment lang durchdringend an. »Aber danach
hast du nicht gefragt, nicht wahr?«
Er schwieg eine Weile. »Wenn du sie ansiehst«,
sagte er, »was siehst du dann?«
»Keine Ahnung, Peter. Was sollte ich denn
sehen?«
Die Zweite Glocke ertönte. Alicia schaute ihn
immer noch an und wartete auf eine Antwort. Aber Peter hatte keine Worte für
das, was er empfand - jedenfalls keine, denen er vertraute.
Draußen strahlte grelles Licht auf: Die
Scheinwerfer brannten. Peter zog die Beine unter dem Tisch hervor und stand
auf.
»Hättest du heute wirklich auf Sam geschossen?«,
fragte er.
Er schaute auf Alicia hinunter. Ihr Gesicht lag
im Schatten.
»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Vielleicht.
Aber ganz sicher würde ich es bereuen, wenn ich es getan hätte.«
Er verharrte einen Moment. Auf dem Boden standen
Alicias Rucksack, Proviant, Wasser und eine Schlafdecke. Ihre Armbrust lag
daneben.
»Na los.« Sie deutete mit dem Kopf zur Tür.
»Mach, dass du rauskommst.«
»Bist du sicher, dass du allein zurechtkommst?«
»Peter.« Sie lachte. »Bin ich jemals nicht
allein zurechtgekommen?«
Probleme hatte Michael Fisher im Lichthaus mehr
als genug. Aber der Gestank machte ihm von allem am meisten zu schaffen.
Es war immer schlimmer geworden. Der saure
Achselhöhlengestank eines ungewaschenen Körpers und der Mief alter Socken. Ein
Gestank wie von verschimmeltem Käse und Zwiebeln. Er hing so beißend in der Luft,
dass Michael sich kaum noch konzentrieren konnte.
»Elton, hau doch einfach ab, ja? Du stinkst den
ganzen Laden voll.«
Der alte Mann saß an seinem gewohnten Platz
rechts neben Michael am Steuerpult. Seine Hände langen schwer auf den
Armlehnen seines alten Bürostuhls, und sein Gesicht war leicht zur Seite
gekippt. Als sie den Strom für die Nacht eingeschaltet hatten - die
Ladestandsanzeigen waren alle im grünen Bereich; was immer unten im Kraftwerk
los sein mochte, sie schickten jedenfalls noch Strom auf den Berg herauf -,
hatte Michael sich wieder über den Sender hergemacht, der jetzt in seine
Einzelteile zerlegt vor ihm lag. Leicht verzerrt wölbten sie sich unter der
Lupe, die er aus dem Geräteschuppen geholt hatte. Nervös hatte Michael auf
einen Besuch von Sanjay gewartet, jederzeit darauf gefasst, den ganzen Kram mit
einem Wisch in einer Schublade verschwinden zu lassen. Aber nur Jimmy hatte am
späten Nachmittag vorbeigeschaut. Jimmy hatte nicht gut ausgesehen - irgendwie
erhitzt und ein bisschen matt, als würde er krank werden. Und er hatte betreten
nach den Akkus gefragt, als habe er sie ganz vergessen und geniere sich jetzt,
überhaupt noch davon anzufangen. Er war zwei, drei Schritte weit hereingekommen,
aber dieser Geruch musste ja jeden fernhalten, diese Barrikade aus menschlichem
Gestank. Das Vergrößerungsglas, das unübersehbar für jeden, der halbwegs bei
Sinnen war, auf dem
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