Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
Vom Netzwerk:
rauchiger
Leere, all die schwankenden Gestalten und formlosen Farben und Lichtflecken. Er
hatte alle möglichen Brillen aus dem Lagerhaus ausprobiert, aber keine hatte
geholfen. Von den Brillen bekam er nur Kopfschmerzen, die sich anfühlten, als
bohrte ihm jemand eine Messerklinge in die Schläfe, und deshalb hatte er es
schon längst aufgegeben. Stimmen konnte er ziemlich gut unterscheiden, und
meistens konnte er das Gesicht in die richtige Richtung drehen, doch er sah so
vieles nicht, und er wusste, dass er deshalb schwerfällig und dumm erschien,
aber das war er nicht. Er wurde nur blind.
    Und jetzt würde er - Second Captain der Wache -
morgen früh den Berg hinunterreiten, um das Kraftwerk zu sichern. Ein Auftrag,
der ihm in Anbetracht dessen, was mit Zander und Arlo passiert war, wie ein
Himmelfahrtskommando vorkam. Hoffentlich würde er noch Gelegenheit finden, mit
Jimmy darüber zu reden und ihn vielleicht zur Vernunft zu bringen, aber bisher
war der Kerl nicht aufgetaucht.
    Apropos - wo steckte Jimmy eigentlich? Soo war irgendwo da draußen, und Dana
Curtis auch; weil Arlo und Theo nicht mehr da waren und Alicia endgültig vom
Wachdienst suspendiert war, hatte Dana ihre Arbeit als Ausbilderin aufgegeben
und bewachte jetzt die Mauer wie alle andern. Galen kam gut mit ihr aus, und
die Tatsache, dass sie jetzt dem Haushalt angehörte, dachte er, würde ihr
vielleicht ein bisschen Einfluss auf Jimmy verschaffen. Vielleicht sollten sie
beide sich über diesen Ritt unterhalten. Soo war auf Neun, Dana auf Acht. Wenn
er sich beeilte, könnte er in ein paar Minuten wieder auf seinem Posten sein.
Und übrigens, was er da hörte - Stimmen, scheinbar ganz in der Nähe, aber
Geräusche trugen nachts ziemlich weit -, war das nicht Soo Ramirez? Und gehörte
die andere Stimme nicht Jimmy? Wenn er jetzt Dana auftreiben könnte, genügten
vielleicht ein paar richtige Worte, um Jimmy zur Einsicht zu bringen.
Vielleicht könnten Soo oder Dana sagen, ja, natürlich, ich kann auch runter
zum Kraftwerk reiten, und wieso sollte es ausgerechnet Galen tun?
    Nur zwei Minuten, dachte Galen, und er nahm
seine Armbrust und ging davon.
     
    Zu selben Zeit saßen Peter und Alicia in dem
alten Wohnwagen und spielten Karten. Sie hatten nur noch das Licht der
Scheinwerfer, und so wurde ihr Spiel unkonzentriert, aber beiden war es schon
lange gleichgültig, wer gewann - falls es sie überhaupt je interessiert hatte.
Peter überlegte, ob er Alicia erzählen sollte, was im Krankenrevier passiert
war, dass er eine Stimme im Kopf gehört hatte, aber mit jeder Minute fiel es
ihm schwerer. Er wusste nicht, wie er es erklären sollte. Er hatte Worte in seinem Kopf gehört. Seine Mutter vermisste ihn. Ich muss träumen, sagte er sich, und als Alicia
ungeduldig ihre Karten hob und ihn damit aus seinen Gedanken riss, schüttelte
er nur den Kopf. Es ist nichts weiter, sagte er. Du legst aus.
     
    Auch Sam Chou war zu dieser Stunde wach, um
halb-plus-eins im Log der Wache. Er war ein Mann, der nichts so sehr liebte wie
sein gemütliches Bett und die zärtlichen Arme seiner Frau. Aber Sandy war in
die Zuflucht gezogen - sie hatte angeboten, so lange dortzubleiben, bis man
eine Nachfolgerin für die Lehrerin gefunden hatte -, und so war Sam aus seinem
gewohnten Rhythmus gerissen und starrte an die Decke. Außerdem bedrückte ihn
ein Gefühl, das er, als der Tag in die Nacht überging, als Verlegenheit erkannt
hatte. Diese komische Geschichte vor dem Gefängnis: Er hatte keine Erklärung
dafür. In der Hitze des Augenblicks hatte er aufrichtig geglaubt, etwas müsse
geschehen. Aber in den Stunden seitdem - er hatte seine Kinder in der Zuflucht
besucht, die die Erlebnisse anscheinend gut überstanden hatten - hatte Sam
festgestellt, dass er über die Sache mit Caleb erheblich maßvoller urteilte.
Caleb war schließlich noch ein Junge, und Sam sah jetzt ein, dass sich dadurch,
dass man ihn hinauswarf, nichts bessern würde. Er hatte auch ein schlechtes
Gewissen, weil er Belle so aufgestachelt hatte - solange Rey unten im Kraftwerk
war, musste die Frau ja außer sich vor Sorge sein. Er und Alicia konnten
einander zwar nicht ausstehen, er musste jedoch zugeben, dass es nur gut
gewesen war, dass sie sich eingeschaltet hatte. Was hätte nicht alles passieren
können, wenn sie es nicht getan hätte. Sam hatte später nochmals mit Milo
geredet und ihm vorgeschlagen, über alles in Ruhe nachzudenken, und wenn sie
darüber geschlafen hätten, würde die Sache

Weitere Kostenlose Bücher