Cronin, Justin
und sie sah den daunenweichen Pelzteppich auf seinem dicken, runden Bauch,
den riesigen Bärenkopf mit den feucht schimmernden Bärenaugen und die großen,
paddelförmigen Tatzen. Es war ein wundervoller Anblick, seltsam und zugleich
nicht unerwartet - wie ein Geschenk, mit dem Jane schon immer gerechnet hatte.
Bewunderung für dieses große, edle Wesen durchströmte ihr vierjähriges Herz.
Er blieb eine Weile so stehen und betrachtete sie nachdenklich, und dann redete
er sie an, während sie immer noch glücklich auf und ab hüpfte, und sagte mit
der dunklen, männlichen Stimme seiner Waldheimat: Hallo, kleine Jane. Ich bin
Mister Bär. Ich bin gekommen, um dich zu fressen.
Das klang lustig. Jane fühlte das Kitzeln im
Bauch, mit dem das Lachen anfing. Aber der Bär reagierte nicht, und als der
Augenblick sich in die Länge zog, sah sie, dass er auch noch andere Eigenschaften
hatte, verstörende Eigenschaften: seine Krallen, die weiß und gekrümmt an seinen
dicken Tatzen saßen, seinen breiten, starken Kiefer, seine Augen, die nicht
mehr freundlich oder weise aussahen, sondern dunkel und erfüllt von
unergründlichen Absichten. Wo waren die anderen Kinder? Warum war Jane allein
im Großen Saal? Aber sie war nicht allein; die Lehrerin war jetzt auch in ihrem
Traum und stand neben dem Bett. Sie sah aus wie immer. Nur ihre Gesichtszüge
waren ein wenig verschwommen, als trage sie eine Schleiermaske. Komm jetzt,
Jane, drängte die Lehrerin. Die anderen Kleinen hat er alle schon gefressen.
Jetzt sei brav und hör auf zu springen, damit Mister Bär dich auch fressen
kann. Ich - will - nicht, antwortete
Jane und hüpfte weiter, denn sie wollte nicht gefressen werden. Die Bitte der
Lehrerin klang zwar eher albern als beängstigend, aber trotzdem. Ich
- will - nicht. Ich mein's ernst, sagte die Lehrerin
warnend, und ihre Stimme wurde lauter. Ich bitte dich noch einmal in aller
Freundlichkeit, kleine Jane. Ich zähle bis drei. Ich
- will - nicht. Siehst du?, sagte die Lehrerin zu dem
Bären, der immer noch aufrecht am Fußende stand. Genervt hob sie die blassen
Arme. Siehst du es jetzt? Damit muss ich mich den ganzen Tag herumschlagen. Das
kann einen schon um den Verstand bringen. Okay, Jane, sagte sie dann, du willst
es nicht anders. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.
An dieser Stelle nahm der Traum seine letzte,
unheimliche Wendung ins Reich des Alptraums. Die Lehrerin packte Jane bei den
Handgelenken und drückte sie auf das Bett herunter. Aus der Nähe sah Jane,
dass an dem Hals der Frau ein Stück fehlte, wie bei einem Apfel, in den jemand
gebissen hatte, und etwas Faseriges hing dort herab, ein paar baumelnde
Streifen und Schläuche, nass und glitzernd und ekelhaft. Erst jetzt begriff
Jane, dass die anderen Kinder nicht da waren, weil sie tatsächlich gefressen
worden waren, genau wie es die Lehrerin gesagt hatte. Mister Bär hatte sie
alle aufgefressen, eins nach dem anderen. Aber er war nicht mehr Mister Bär, er
war ein leuchtender Mann. Lass mich los, schrie
Jane. Ich will nicht, schrie
Jane, ich will nicht! Aber
sie war nicht stark genug, um Widerstand zu leisten. Und so musste sie zusehen,
wie erst ihr Fuß und ihr Knöchel und dann das ganze Bein in seiner dunklen
Schnauze verschwand.
Die Träume zeugten davon, wie verschieden die
Sorgen und Ängste waren. Es gab so viele Träume, wie es Träumende gab. Gloria
Patal träumte von einem riesigen Bienenschwarm, der ihren Körper bedeckte. Ein
Teil ihrer selbst wusste, dass die Bienen symbolisch zu verstehen waren. Jede
Biene, die über ihre Haut kroch, war eine Sorge, die sie im Leben begleitete.
Kleine Sorgen, zum Beispiel, ob es an einem Tag, an dem sie im Freien arbeiten
wollte, regnen würde oder nicht. Oder ob Mimi, Rajs Witwe und ihre einzige
echte Freundin, wütend auf sie war, weil sie nicht, wie sonst täglich, auf
einen Sprung bei ihr vorbeigeschaut hatte. Aber auch größere Sorgen. Sorgen um
Sanjay und um Mausami. Die Sorge, dass die Schmerzen in ihrem Kreuz und der
Husten, den sie manchmal hatte, Vorboten von etwas Schlimmerem sein könnten. Zu
diesem Katalog gehörte auch die wehmütige Liebe zu jedem der Babys, die sie
nicht hatte austragen können, und der bange Knoten, der sich bei jeder
Abendglocke in ihrem Magen zusammenschnürte und der mit der Befürchtung zu tun
hatte, dass ihr Schicksal und das der anderen im Grunde schon besiegelt war. Es
ließ sich nicht vermeiden, daran zu denken, dass ihre Chancen gering waren.
Man tat sein
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