Cronin, Justin
hatte er nach
Jimmy gerufen? Aber Jimmy war tot, Old Chou war tot, Walter Fisher und Soo
Ramirez und der Colonel und Theo Jaxon und Gloria und Mausami und sogar er
selbst - alle waren sie tot! Denn die Welt war nicht die richtige Welt, das war
der springende Punkt, das war die furchtbare Wahrheit, die er entdeckt hatte.
Es war eine Traumwelt, ein Schleier aus Licht und Geräuschen und Materie, der
die wahre Welt verhüllte. Walker in einem Traum vom Tod, das waren sie, und
die Träumerin war das Mädchen, dieses Mädchen von Nirgendwo. Die Welt war ein
Traum, und sie erträumte sie.
»Gloria«, krächzte er. »Hilf mir.«
In Aunties Küche brannte noch eine Laterne.
Peter klopfte an die Tür und trat dann leise ein.
Die alte Frau saß am Küchentisch. Sie schrieb
nicht, und sie trank keinen Tee. Als er hereinkam, hob sie den Kopf und griff
gleichzeitig in das Gewirr der Brillen an ihrem Hals. Die richtige wanderte auf
ihre Nase.
»Peter. Hab mir gedacht, dass du das bist.«
Er setzte sich ihr gegenüber. »Woher wusstest du
von ihr, Auntie?«
»Von wem?«
»Du weißt, von wem, Auntie. Bitte.«
Sie winkte kurz. »Du meinst den Walker? Oh, da
muss jemand vorbeigekommen sein und es mir erzählt haben. Ich glaube, das war
dieser Molyneau.«
»Ich rede von vorgestern Abend. Du hast da etwas
gesagt. Hast mir erzählt, dass sie kommt. Dass ich wüsste, wer sie ist.«
»Das habe ich gesagt?«
»Ja, Auntie. Das hast du gesagt.«
Die alte Frau runzelte die Stirn. »Keine Ahnung,
was mir da durch den Kopf gegangen ist. Vorgestern Abend, sagst du?« Er hörte
sich seufzen. »Auntie ...«
Sie hob die Hand und schnitt ihm das Wort ab.
»Okay, jetzt reg dich nicht auf. Ich habe ein bisschen Spaß gemacht. Hab ich
schon so lange nicht mehr getan, dass ich es mir einfach nicht verkneifen
konnte.« Sie sah ihn durchdringend an. »Also sag's mir selbst. Bevor ich meine
Meinung dazu äußere. Was glaubst du, was sie ist? Dieses Mädchen?«
»Amy?«
»Ich weiß nicht, wie sie heißt. Wenn du sie Amy
nennen willst, von mir aus.«
»Ich weiß es nicht, Auntie.«
Sie riss die Augen auf. »Natürlich weißt du es
nicht!« Sie gluckste und bekam dann einen Hustenanfall. Peter stand auf und
wollte ihr helfen, doch sie winkte ab. »Setz dich«, krächzte sie. »Meine Stimme
ist rostig geworden, weiter nichts.« Sie nahm sich einen Augenblick Zeit, um
sich wieder zu fassen, und räusperte sich mit feuchtem Rasseln. »Das musst du
selbst herausfinden«, sagte sie dann. »Für jeden gibt es im Leben etwas, das
er herausfinden muss, und das hier ist deins.«
»Michael sagt, sie ist hundert Jahre alt.«
Die alte Frau nickte. »Dann pass lieber auf.
Eine ältere Frau. Sieh zu, dass
diese Amy dich nicht allzu sehr herumkommandiert.«
So kam er nicht weiter. Mit Auntie zu reden, war
immer eine Herausforderung, aber so hatte er sie noch nie erlebt, so
gespenstisch vergnügt. Sie hatte ihm nicht einmal Tee angeboten.
»Auntie, du hast da noch etwas anderes gesagt«,
drängte er. »Etwas von einer Chance.«
»Kann sein. Klingt wie etwas, das ich sagen
würde.«
»Ist sie eine?«
Die alte Frau zögerte, und ihre bleichen Lippen
kräuselten sich skeptisch. »Ich würde sagen, das kommt darauf an.«
»Worauf?«
»Auf dich.«
Bevor Peter etwas sagen konnte, redete die alte
Frau weiter. »Ach, jetzt mach nicht so ein jämmerliches Gesicht. Ratlos wäre
jeder an deiner Stelle.« Sie schob den Tisch zurück und stand auf. »Komm mal mit.
Ich will dir was zeigen. Vielleicht hilft es dir, dich zu entscheiden.«
Er folgte ihr durch den Flur zu ihrem
Schlafzimmer. Wie der Rest des Hauses war auch dieser Raum vollgestopft, aber
sauber; alles war an seinem Platz. An der Wand stand ein altes Himmelbett. Die
Kuhle in der Matratze verriet ihm, dass sie nur mit losem Stroh gefüllt war.
Auf einem Holzstuhl daneben stand eine Öllampe. Die Kommode, das einzige andere
Möbelstück im Zimmer, war mit einer Kollektion von scheinbar beliebig
zusammengestellten Gegenständen geschmückt: Da war eine alte Glasflasche, auf
der in den verblichenen Lettern einer verschlungenen Schrift die Worte Coca-Cola standen, eine Blechdose,
in der es rasselte, als er sie in die Hand nahm - vermutlich enthielt sie
Stecknadeln -, der Kieferknochen irgendeines kleinen Tieres und ein
pyramidenförmiger Haufen von flachen, glatten Steinen.
»Das sind meine Trösterchen«, erklärte Auntie.
Peter sah sie an. Jetzt, da sie nebeneinander in
dem engen Zimmer standen,
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