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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Erinnerung an
Schmerz, aber es hatte jeden Gedanken an Old Chou weggeschwemmt, an das
Lagerhaus und an das, was er dort wollte. Was er als Nächstes getan hatte, war
anscheinend in einem Zustand der Willenlosigkeit geschehen. Die Bilder in
seinem Gedächtnis waren unzusammenhängend wie ein Kartenspiel, das zu Boden
gefallen war. Gloria hatte ihn nachher gefunden. Er hatte im Gebüsch an ihrem
Haus gekauert und gewimmert wie ein Kind. Sanjay, hatte sie gesagt, was hast du
getan? Was hast du getan, was hast du getan? Er konnte ihre Frage nicht
beantworten - in diesem Augenblick hatte er wirklich keine Ahnung -, doch ihr
Gesicht und ihre Stimme verrieten, dass es etwas Furchtbares, Undenkbares war,
als habe er vielleicht jemanden umgebracht. Er hatte sich von ihr ins Haus und
zu seinem Bett führen lassen. Erst als die Sonne aufging, fiel ihm wieder ein,
was er getan hatte.
    Er wurde verrückt.
    So war der Tag vergangen. Nur indem er wach
blieb - und nicht nur wach blieb, sondern unbeweglich dalag und seine ganze
Willenskraft zusammennahm -, konnte er seine verstörten Gedanken vielleicht
wieder in einen Zusammenhang bringen und eine Wiederholung der Ereignisse der
letzten Nacht vermeiden. Das war sein neuer Wachdienst. Eine Zeitlang, kurz
nach dem Morgengrauen und dann später, als es dunkel wurde, hatte er unten
aufgeregte Stimmen gehört (Ian und Ben und Gloria - was mochte aus Jimmy
geworden sein?), aber auch das war vorbeigegangen. Er fühlte sich wie in einer
Luftblase; alles passierte in der Ferne, unerreichbar für ihn. Zwischendurch
wurde ihm bewusst, dass Gloria im Zimmer war. Ihr besorgtes Gesicht schwebte
über ihm, und sie stellte ihm Fragen, die er nicht beantworten konnte. Sollte
ich ihnen von den Gewehren erzählen, Sanjay? Sollte ich? Ich weiß nicht, was
ich tun soll, ich weiß nicht, was ich tun soll. Warum sprichst du nicht mit
mir, Sanjay? Aber er konnte immer noch nichts sagen. Wenn er
spräche, würde er den Bann brechen.
    Jetzt war sie weg. Gloria war weg, Mausami war
weg, alle waren weg. Seine Mausami. Ihr Bild hielt er jetzt vor seinem
geistigen Auge fest - nicht die erwachsene Frau, zu der sie geworden war,
sondern das winzige Baby, das er gesehen hatte, dieses Bündel von einem
warmen, neuen Leben, das Prudence Jaxon ihm in die Arme gelegt hatte -, und als
das Bild verblasste und Sanjay endlich die Augen schloss, hörte er die Stimme,
Babcocks Stimme, die aus der Dunkelheit kam.
    Sanjay. Sei der Meine.
    Jetzt war er in der Küche. In der Küche aus der
Zeit Davor. Ein Teil seiner selbst sagte: Du hast die Augen geschlossen,
Sanjay. Was immer du tust, du darfst die Augen nicht schließen. Aber es war zu
spät. Er war wieder in seinem Traum, in dem Traum mit der Frau und dem Telefon
und ihrer lachenden Stimme aus Rauch und dem Messer. Das Messer war in seiner
Hand. Ein großes Messer mit schwerem Griff, mit dem er die Worte, die lachenden
Worte, aus ihrer Kehle schneiden würde. Und aus der Dunkelheit seines Geistes
stieg die Stimme zu ihm herauf.
    Bring sie zu mir, Sanjay. Bring mir einen und
dann noch einen. Bring sie zu mir.
    Sie saß am Tisch und sah ihn an mit ihrem
großen, pausbäckigen Gesicht, und Rauch kam in kleinen grauen Wölkchen
zwischen ihren Lippen hervor. Was hast du mit dem Messer vor? Hm? Soll mir das
Angst machen?
    Tu es. Töte sie. Töte sie und sei frei.
    Er stürzte sich auf sie und stieß mit dem Messer
auf sie herab, mit all seiner Kraft.
    Aber etwas stimmte nicht. Das Messer war stecken
geblieben, sein blinkender Glanz mitten in der Luft erstarrt. Irgendeine Macht
war in den Traum eingedrungen und hielt seine Hand fest. Er spürte ihren starken
Griff an seinem Arm. Die Frau lachte. Er zog und zerrte und versuchte, das
Messer voranzubringen, doch es ging nicht. Der Rauch quoll aus ihrem Mund, und
sie lachte ihn aus, lachte lachte lachte ...
    Mit einem Ruck wachte er auf. Sein Herz raste.
Jeder Nerv in seinem Körper schien Funken zu sprühen. Sein Herz! Sein Herz!
    »Sanjay?« Gloria war hereingekommen. Sie hatte
eine Laterne in der Hand. »Sanjay, was ist los?«
    »Hol Jimmy!«
    Ihr Gesicht war beunruhigend dicht vor ihm,
verzerrt vor Angst. »Er ist tot, Sanjay. Weißt du nicht mehr? Jimmy ist tot!«
    Er schleuderte die Decke zur Seite, und jetzt
stand er, mitten im Zimmer, und eine wilde Macht durchströmte ihn. Diese Welt
mit ihren Nichtigkeiten. Dieses Bett, diese Kommode, diese Frau namens Gloria,
seine Frau. Was tat er hier? Wohin hatte er gehen wollen? Warum

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