Cronin, Justin
Augen. Hilfe, schien
ihr Blick zu sagen. Aber sogar sie lächelte.
Er drehte sich zu Olson um. »Nein«, sagte er.
»Merkwürdig. So etwas habe ich noch nie gehört.«
Er warf einen Blick auf seine Tochter und wandte sich dann wieder Peter zu.
Irgendetwas machte ihm zu schaffen. »Aber sonst ist sie ... in Ordnung?«
»In Ordnung?«
Olson schwieg kurz. »Du musst entschuldigen,
dass ich so direkt bin. Aber eine Frau, die ein Kind bekommen kann, ist sehr
kostbar. Nichts ist wichtiger, nachdem nur noch so wenige von uns übrig sind.
Und ich sehe, dass eins eurer Weibchen schwanger ist. Die Leute werden wissen
wollen, ob sonst mit dem Mädchen alles stimmt.«
Weibchen, dachte Peter. Was für eine seltsame
Wortwahl. Er schaute zu Mausami hinüber, die noch immer von den Frauen umringt
war, und sah, dass viele von ihnen ebenfalls schwanger waren.
»Vermutlich.«
»Und die andern? Sara und die Rote? Lish?«
Diese Befragung war so sonderbar, so unerwartet,
dass Peter zögerte und nicht wusste, was er sagen sollte. Aber Olson starrte
ihn jetzt durchdringend an. Irgendeine Antwort musste er ihm geben.
»Ich denke schon.«
Anscheinend war die Antwort zufriedenstellend.
Olson nickte knapp, und das Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. »Gut.«
Weibchen, dachte Peter. Als ginge es um Vieh. Er hatte das beunruhigende
Gefühl, zu viel gesagt zu haben. Als habe er sich austricksen lassen und dabei
wichtige Informationen preisgegeben. Mira stand neben ihrem Vater, der Menge
zugewandt, die sich jetzt entfernte. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass sie noch
kein Wort gesagt hatte.
Alle versammelten sich um die Tische. Das laute
Stimmengewirr wurde zu einem Murmeln, als das Essen verteilt wurde: Eintopf
aus großen Kasserolen, körbeweise Brot, Töpfe mit Butter und Krüge mit Milch.
Peter sah sich um: Alle plauderten und bedienten sich, manche halfen den
Kindern, einige Frauen hatten Babys auf dem Schoß, die dort zappelten oder an
einer entblößten Brust tranken. Was er da sah, dachte er, war mehr als nur ein
Haufen Überlebender. Es war eine Familie. Zum ersten Mal in all den Tagen, seit
sie die Kolonie verlassen hatten, durchzuckte ihn das Heimweh, und er fragte
sich, ob sein Misstrauen vielleicht unbegründet war. Vielleicht waren sie hier
wirklich in Sicherheit.
Aber etwas stimmte nicht; er spürte es deutlich.
Diese Versammlung war unvollständig. Irgendetwas fehlte. Er konnte nicht sagen,
was es war, es ließ ihm jedoch keine Ruhe. Alicia und Amy waren jetzt mit Jude
unterwegs; er zeigte ihnen, wo sie sitzen sollten. In seinen Lederstiefeln -
fast alle andern waren barfuß - überragte der Mann die beiden Frauen turmhoch.
Peter sah, wie er sich Alicia zuneigte, ihren Arm berührte und ihr kurz etwas
ins Ohr flüsterte. Sie lachte.
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Olson
ihm eine Hand auf die Schulter legte. »Ich hoffe, ihr werdet euch entschließen,
bei uns zu bleiben«, sagte er. »Das hoffen wir alle. Je mehr wir sind, desto
besser.«
»Wir werden darüber reden müssen«, sagte Peter.
»Natürlich«, sagte Olson. Seine Hand blieb, wo
sie war. »Es hat keine Eile. Nehmt euch so viel Zeit, wie ihr braucht.«
49
Es war ganz einfach. Es gab keine Jungen.
Oder fast keine. Alicia und Hollis behaupteten,
sie hätten einen oder zwei gesehen. Aber als Peter sie genauer befragte,
mussten sie beide gestehen, dass sie nicht sicher waren, ob sie wirklich
welche gesehen hatten. Bei den kurzgeschorenen Haaren der Kleinen war es
schwer zu sagen, und älteren Kindern waren sie überhaupt noch nicht begegnet.
Es war am Nachmittag des vierten Tages. Michael
war endlich wach. Sie hatten sich zu fünft in der größeren der beiden Baracken
versammelt; nur Mausami und Amy waren in der anderen. Peter und Hollis waren
eben von einem Ausflug auf die Felder zurückgekommen, den Olson mit ihnen
unternommen hatte. Der eigentliche Zweck dieses Ausflugs hatte darin bestanden,
noch einen Blick auf die Umzäunung zu werfen, denn sie hatten beschlossen, von
hier zu verschwinden, sobald Michael dazu in der Lage wäre. Darüber mit Olson
zu reden, kam nicht in Frage. Peter musste zwar zugeben, dass er den Mann
mochte und keinen ersichtlichen Grund hatte, ihm zu misstrauen, aber allzu viel
an diesem »Hafen« war einfach eigenartig, und nach den Ereignissen des vergangenen
Abends war Peter unsicherer denn je, was Olsons Absichten anging. Olson hatte
eine kurze Rede gehalten und sie alle willkommen geheißen, im Laufe des
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