Cronin, Justin
Saftsäcke!«
»Der Graf soll kommen!«, schrie jemand.
Wieder lautes Jubelgeschrei. Greer stand vor der
weißen Wand und lächelte kaum verhohlen. Ganz kurz nur brach der harte Panzer
der militärischen Disziplin ein wenig auf. Peter hatte inzwischen genug Zeit
mit Greer verbracht, um zu wissen, dass das nicht zufällig geschah.
Greer wartete ab, bis die Aufregung sich von
allein gelegt hatte. Dann räusperte er sich. »Okay, Leute, das reicht. Zuerst
eine Bekanntmachung. Ich weiß, ihr habt den Aufenthalt hier oben in den
Wäldern des Nordens genossen ...«
»Fuck, und wie!«
Greer schaute stirnrunzelnd in die Richtung des
Mannes, der da gerufen hatte. »Unterbrechen Sie mich noch einmal, Muncey, und
Sie dürfen einen Monat lang Latrinen auslutschen.«
»Wollte nur sagen, wie froh ich bin, hier zu
sein und Dracs zu scheuchen, Sir!«
Neues Gelächter. Greer ließ es durchgehen.
»Wie ich sagte, nachdem das Wetter sich
gebessert hat, gibt es Neuigkeiten. General?«
Vorhees, der am Rand gewartet hatte, trat nach
vorn. »Danke, Major. Guten Abend, Zweites Bataillon!«
»Guten Abend, Sir!«, schrien alle im Chor.
»Wie es aussieht, klart das Wetter hier für eine
Weile auf, und deshalb ziehen wir ab. Morgen früh um fünf, nach dem Frühstück,
melden Sie sich bei Ihrem Truppführer und lassen sich Ihre Sektion zuweisen.
Wenn es hell wird, soll alles mit Sack und Pack bereitstehen. Sobald Einheit
Blau zurückkommt, marschieren wir nach Süden.«
Ein Soldat hob die Hand. Peter erkannte ihn; er
hatte Michael in der Kantine angesprochen. Sancho.
»Was ist mit dem schweren Gerät, Sir? Damit
kommen wir nicht durch den Schlamm.«
»Man hat entschieden, es hierzulassen. Wir
marschieren schnell und mit leichtem Gepäck. Ihre Truppführer werden das mit
Ihnen besprechen. Noch jemand?«
Schweigen.
»Also gut. Dann viel Vergnügen.«
Die Laternen wurden gelöscht, und hinten im Raum
begannen die Räder an dem Projektor sich zu drehen. Jetzt war es also so weit,
dachte Peter: Der Augenblick der Entscheidung war gekommen. Eine Woche war
plötzlich wie im Flug vergangen. Er spürte, dass jemand neben ihm auf die Bank
rutschte. Es war Sara. Amy war bei ihr. Sie hatte sich zum Schutz gegen die
Kälte eine dunkle Wolldecke um die Schultern gelegt.
»Ihr solltet nicht hier sein«, flüsterte Peter.
»Zum Teufel damit«, sagte Sara leise. »Glaubst
du, das lasse ich mir entgehen?«
Die weiße Wand strahlte plötzlich hell auf.
Leuchtende Zahlen in einem Kreis, in absteigender Folge. 5, 4, 3, 2,1. Und
dann:
CARL LAEMMLE PRÄSENTIERT
DRACULA
VON BRAM STOKER
NACH DEM BÜHNENSTÜCK FÜR DEN
FILM
BEARBEITET VON HAMILTON DEANE
& JOHN L. BALDERSTON
EINE TOD BROWNING PRODUKTION
»Ton!«, brüllte einer der Soldaten, und andere
stimmten ein. »Ton! Ton!«
Der Soldat, der den Projektor bediente,
überprüfte hastig alle Verbindungen und drehte an den Knöpfen. Dann rannte er
nach vorn und kniete vor einem Kasten unter der Projektionswand nieder.
»Moment, da, ich glaube, das war's ...«
Ein dröhnendes Knattern brach los, und Peter,
der fasziniert auf das bewegliche Bild starrte - eine Kutsche rollte in ein
Dorf, und die Leute liefen ihr entgegen -, sprang unweigerlich auf. Aber dann
begriff er, wozu der Kasten da vorn in der Lage war. Das Pferdegetrappel, das
Knarren der Kutsche auf ihren Federn und die Stimmen der Dorfbewohner, die in
einer fremden Sprache miteinander redeten, die er noch nie gehört hatte: Die
Bilder waren mehr als Abbildungen, mehr als Licht. Sie waren wie etwas
Lebendiges.
Ein Mann mit einem weißen Hut fuchtelte mit
einem Gehstock vor den Kutschern herum. Als er den Mund zum Sprechen öffnete,
deklamierten alle Soldaten einstimmig:
»Nehmt mein Gepäck nicht herunter, ich fahre
heute Nacht noch zum Borgo-Pass.«
Ein allgemeiner Heiterkeitsausbruch folgte.
Peter riss den Blick von der Projektionswand los und schaute zu Hollis hinüber.
Aber die Augen seines Freundes, in denen sich das Licht funkelnd spiegelte,
starrten hingerissen auf die beweglichen Bilder vor ihnen. Er drehte sich zu
Sara und Amy um, und sie sahen genauso aus.
Vorn redete jetzt ein stämmiger Mann mit dem
Kutscher in einem Kauderwelsch aus unverständlichen Lauten. Dann wandte er sich
dem ersten Mann zu, dem mit dem Hut, und seine Worte vervielfachten sich in der
lärmenden Rezitation der Soldaten.
»Der Kutschär. Er hat... Angst. Ist ein gutär
Mann. Ich soll Sie fragen, ob Sie können warten. Fahren morgen,
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