Cronin, Justin
froh, dass ich dich so
lange hatte.«
Er sah sie an, sah ihr verzweifeltes Gesicht,
und da wusste er es.
Der Colonel war nicht das eigentliche Geheimnis.
Er selbst war es. Er war das Geheimnis, das sie bewahrt hatte. Das sie beide
voreinander und sogar vor sich selbst bewahrt hatten.
Er streckte die Hand nach ihr aus. »Alicia, hör
zu ...«
»Tu das nicht. Nicht.« Aber sie wich nicht
zurück.
»Die letzten drei Tage ... als ich dachte, du
würdest sterben, und ich wäre nicht da.« Ein faustgroßer Kloß stieg ihm in die
Kehle. »Ich habe immer gedacht, ich würde da sein.«
»Peter, verdammt.« Sie zitterte, und er spürte,
wie schwer der Kampf war, der in ihr tobte. »Es ist zu spät, Peter. Es ist zu
spät.«
»Ich weiß.«
»Sag nichts, bitte. Du hast gesagt, du verstehst
es.«
Das stimmte. Er verstand es wirklich. Peter war
weder überrascht noch traurig, sondern empfand im Gegenteil tiefe, unverhoffte
Dankbarkeit. Eine machtvolle Klarheit durchströmte ihn wie die kalte Winterluft.
Er fragte sich, was für ein Gefühl das war, und dann wusste er es. Er gab sie
auf.
Sie ließ zu, dass er die Arme um sie schlang und
sie mit seiner offenen Jacke umschloss. Er hielt sie fest, wie sie ihn
festgehalten hatte, vor Tagen in Vorhees' Zelt. Der gleiche Abschied, nur
umgekehrt. Er fühlte, wie sie erstarrte und sich dann wieder an ihm entspannte
und in seinen Armen kleiner wurde.
»Du gehst weg«, sagte sie.
»Du musst mir etwas versprechen. Sorg dafür,
dass den andern nichts passiert. Bring sie nach Roswell.« Sie nickte matt an
seiner Brust. »Und du?«
Wie sehr er sie liebte. Aber die Worte durften
nicht ausgesprochen werden. Er hielt sie in den Armen, schloss die Augen und
versuchte, sich dieses Gefühl ins Gedächtnis einzuprägen, damit er es mitnehmen
könnte.
»Ich glaube, du hast lange genug auf mich
aufgepasst, oder?« Er trat einen Schritt zurück, um ein letztes Mal ihr Gesicht
zu sehen. »Das ist alles. Ich wollte dir nur danken.«
Dann wandte er sich ab und ging davon, und sie
stand allein im eisigen Wind vor der Unterkunft.
Er versuchte zu schlafen, so gut es ging, aber
er wälzte sich die ganze Nacht unruhig hin und her, und in der letzten Stunde
vor dem Morgengrauen konnte er nicht mehr länger warten. Er stand auf und
packte hastig sein Zeug zusammen. Er dachte an die Kälte: Decken würden sie
brauchen, Extrasocken, alles, was sie warm und trocken halten konnte.
Schlafsäcke, Ponchos, eine Plane mit einem guten, starken Seil. Am vergangenen
Abend war er auf dem Rückweg von der Unterkunft in ein Materialzelt geschlichen
und hatte einen Klappspaten, eine Handaxt und zwei schwere Parkas geklaut.
Hollis lag leise schnarchend auf seiner Pritsche, das bärtige Gesicht unter
Decken vergraben. Wenn er aufwachte, würde Peter nicht mehr da sein.
Er wuchtete sich den Rucksack auf die Schultern
und trat ins Freie. Eine betäubende Kälte schlug ihm entgegen und sog die Luft
aus seiner Lunge. In der Garnison war es still. Nur wenige Männer waren auf,
und der Geruch von Holzrauch und warmem Essen, der aus der Messe herüberwehte,
ließ seinen Magen knurren. Doch er hatte keine Zeit mehr. Im Frauenzelt saß Amy
auf ihrem Feldbett. Sie hielt ihren kleinen Rucksack auf dem Schoß. Er hatte
ihr nichts gesagt. Sie war allein. Sara war noch bei Sancho und den andern im
Krankenrevier.
»Ist es so weit?«, fragte sie. Ihre Augen
strahlten.
»Ja. Es ist so weit.«
Zusammen gingen sie hinüber zur Koppel. Greers
Pferd, ein großer schwarzer Wallach mit dichtem Winterfell, graste mit den
andern. Peter holte Zaumzeug aus dem Schuppen und führte ihn damit zum Zaun.
Gern hätte er einen Sattel benutzt, aber zu zweit würde das nicht gehen. Er
band ihre Rucksäcke zusammen und warf sie über die Kruppe des Pferdes. Seine
Finger waren jetzt schon steifgefroren. Er hob Amy hoch und setzte sie auf das
Pferd, und dann kletterte er auf den Zaun und schwang sich ebenfalls hinauf.
Der Morgen dämmerte; die Dunkelheit wich einem sanften Grau, als löse sie sich
auf, statt sich zu lichten. Es hatte angefangen zu schneien, fahle, fast
unsichtbare Flocken, die vor ihren Gesichtern aus dem Nichts auftauchten.
Am Tor stand ein einzelner Soldat mit
geschultertem Gewehr. Es war Eustace, der Mann, der Peter von der Rückkehr des
Einsatzkommandos berichtet hatte.
»Der Major sagt, ich soll euch durchlassen. Und
ich soll euch das hier geben.« Er schleifte eine große Tasche aus seiner
Wachhütte und ließ sie vor
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