Cronin, Justin
dem Pferd zu Boden fallen. »Ihr sollt nehmen, was
ihr braucht.«
Peter sprang vom Pferd, kniete vor der Tasche
nieder und öffnete sie. Gewehre, Magazine, zwei Pistolen, ein Gürtel mit
Handgranaten. Peter sah sich alles an und überlegte, was er tun sollte.
Dann richtete er sich auf. »Trotzdem vielen
Dank«, sagte er, zog sein Messer aus dem Gürtel und reichte es Eustace. »Hier.
Ein Geschenk für den Major.«
Eustace zog die Stirn kraus. »Verstehe ich
nicht. Du willst mir dein Messer geben?« Peter hielt es ihm entgegen. »Nimm
schon.«
Zögernd nahm Eustace das Messer und betrachtete
es einen Moment lang, als sei es ein seltsames Artefakt, das er im Wald
gefunden hatte.
»Gib es Major Greer«, sagte Peter. »Ich glaube,
er wird es verstehen.«
Er drehte sich zu Amy um, die hoch über ihm saß.
Sie hatte das Gesicht in den herabrieselnden Schnee erhoben.
»Fertig?«
Das Mädchen nickte. Ein leises Lächeln leuchtete
auf ihrem Gesicht. Schneeflocken saßen auf ihren Wimpern und ihrem Haar wie
Juwelenstaub. Eustace verschränkte die Hände ineinander, damit Peter sie als
Trittleiter benutzen und sich auf das Pferd schwingen konnte. Peter nahm den
Zügel in die Hand, und das Tor öffnete sich. Er warf einen letzten Blick zurück
zu den Unterkünften, aber alles war still und unverändert. Lebt wohl, dachte
er. Lebt wohl. Dann stieß er dem Pferd die Fersen in die Flanken, und sie
ritten hinaus in den anbrechenden Tag.
Teil
X
Der Engel des Berges
Dem armen Eremiten gleich in seiner Klause
Will endlos zweifelnd meine Tage ich verbringen
Beklagen wohl das Leid, das keine Zeit kann
heilen,
Und niemand als die Liebe wird mich jemals
finden.
Sir Walter Raleigh, aus: Das
Nest des Phoenix
62
Gegen Halbtag waren sie wieder am Fluss. Sie
ritten schweigend durch den Schnee, der jetzt heftiger fiel und den Wald mit
weichem Licht erfüllte. Der Fluss begann am Ufer entlang zu gefrieren, aber
das dunkle Wasser floss in seinem schmaler werdenden Bett unbeeindruckt und
frei dahin. Amy lehnte sich an Peters Rücken; ihre blassen Handgelenke lagen
schlaff auf seinem Schoß. Sie war eingeschlafen. Er spürte die Wärme ihres
Körpers. Ihr Oberkörper hob und senkte sich im Rhythmus ihres Atems. Warme
Dampfwolken wehten aus den Nüstern des Pferdes nach hinten. Sie rochen nach
Gras und Erde. Vögel saßen auf den Bäumen, schwarze Vögel, die einander durch
das Geäst riefen. Der weiche Schnee dämpfte ihre Stimmen.
Beim Reiten kamen ihm Erinnerungen in den Sinn,
eine ungeordnete Collage von Bildern, die wie Rauch durch seinen Kopf trieben.
Seine Mutter, kurz vor ihrem Ende, als er in der Zimmertür gestanden und ihr
beim Schlafen zugesehen hatte; ihre Brille hatte auf dem Tisch gelegen, und er
hatte gewusst, sie würde sterben. Theo im Windkraftwerk, wie er auf der
Pritsche saß und Peters Fuß in die Hände nahm, und später, wie er mit Mausami
auf der Veranda der Farm stand und ihnen nachschaute. Auntie in ihrer
überheizten Küche und der Geschmack ihres abscheulichen Tees. Die letzte Nacht
im Bunker, als alle Whiskey getrunken und über etwas Komisches gelacht hatten,
das Caleb getan oder gesagt hatte, während das große Unbekannte sich vor ihnen
auftat. Sara am Morgen nach dem ersten Schnee, an den Baumstamm gelehnt, das Notizbuch
auf ihrem Schoß, wie ihr Gesicht von der Sonne beschienen wurde und sie sagte:
»Es ist so schön hier.« Alicia. Alicia.
Sie wandten sich nach Osten. Jetzt waren sie in
einer ganz anderen Gegend. Der Weg führte durch eine zerklüftete Landschaft bergauf,
und der weiß verhüllte Bergwald umschloss sie. Der Schneefall ließ nach, hörte
auf und fing dann wieder an. Es wurde steiler. Peter konzentrierte sich jetzt
auf winzige Kleinigkeiten. Auf den langsamen, rhythmischen Gang des Pferdes.
Das abgenutzte Leder des Zügels in seiner Faust. Amys Haarspitzen in seinem
Nacken. Alles war irgendwie stimmig - als stammten diese Einzelheiten aus
einem Traum, den er einmal gehabt hatte, vor Jahren.
Als es dunkel wurde, schaufelte Peter mit dem
Klappspaten an einer Stelle am Flussufer den Schnee beiseite und spannte die
Plane auf. Das Holz am Boden war größtenteils zu nass, um zu brennen, aber
unter dem dichten Dach des Waldes gab es genug dürres Reisig, um ein Feuer in
Gang zu bringen. Peter hatte sein Messer nicht mehr, in seinem Rucksack war
jedoch ein kleines Taschenmesser, mit dem er Konserven öffnen konnte. Sie aßen
zu Abend und schliefen dann dicht
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